Grafik: Der Standard

Auf offener Straße dreht sich Salah Zater eigentlich regelmäßig um. Hier in Hamburg muss der TV-Reporter aber keine Attacken aus dem Hinterhalt fürchten. Knapp 3.000 Kilometer nördlich seiner Heimat Libyen fühlt er sich sicher genug vor Milizen und Behörden, die ihn angriffen und mit dem Tode bedrohten, weil er Folter, Vergewaltigungen und Korruption aufgedeckt hatte. Trotzdem fiel dem 28-Jährigen die Entscheidung zur Flucht nicht leicht: "Ich lebe für mein Land, ich lebe für meinen Beruf, aber ich hatte keine Wahl."

Im Jahr 2010 führte Salah Zater noch ein relativ normales Leben. Im Libyen Muammar al-Gaddafis verschlug es ihn aus seiner Heimatstadt Adschdabija rasch nach Tripolis. Eigentlich ein Ingenieur, änderte sich sein Berufsleben mit dem Beginn der Revolution 2011. In den sozialen Medien ließ Zater seinem Frust über Machthaber Gaddafi und über zahlreiche Menschenrechtsverletzungen freien Lauf. Dies erregte Aufsehen: Ein TV-Sender bot Zater ein Praktikum an, auch wenn dieser keine journalistische Erfahrung vorweisen konnte. Danach zeigten sich beide Seiten zufrieden, vor allem Zater: "Ich habe gemerkt, dass man wirklich etwas verändern kann, wenn man Missstände aufdeckt. Ich fühlte mich stark, ich wollte die Dinge zum Guten wenden."

Salah Zater hat seine Berufung gefunden. Derzeit kann er ihr aber nicht nachgehen.
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Zater heuerte bei den zwei Privatsendern Alassema und Al Nabaa an und befasste sich fortan mit brisanten Themen wie Korruption, Folter in den Gefängnissen, Kinderarbeit oder Vergewaltigungen. Mit der Tötung Gaddafis im Oktober 2011 und dem Ende der Revolution sollte alles besser werden, und so kam es anfangs auch: "Das waren die schönsten Tage in Libyen, weil man wieder frei sprechen konnte. Dann wurde es aber wieder sehr schlimm." Was Zater damit meint: Milizen mit ihren jeweiligen Regierungen kämpfen in Libyen um Einfluss. In dieses Machtvakuum platzte die Jihadisten-Miliz "Islamischer Staat" hinein, um es zu füllen. Hunderttausende Libyer verließen deshalb ihre Heimat, um der Gewalt zu entkommen. Viele wagten auch den gefährlichen Weg übers Mittelmeer nach Europa.

Zater hat sich in diesem Chaos nie für eine Seite entschieden, auch wenn er oft und vehement dazu gedrängt wurde: "Das ist kein Journalismus für mich." Trotz der widrigen Umstände hat der Reporter seine investigative Arbeit fortgesetzt. Sein TV-Beitrag über Drogenfahnder in Tripolis, die sich in den Asservatenkammern mit Rauschgift versorgten hatten, sorgte etwa dafür, dass Polizisten ihm Morddrohungen schickten.

Von Milizen und Sicherheitskräften verprügelt

Im Jahr 2012 wurde er von Sicherheitskräften des Präsidenten des libyschen Nationalkongresses verprügelt. Zaters Kameramann konnte den Übergriff heimlich filmen. Mit der Aufnahme als Beweis wurde Anzeige erstattet, die aber bis heute zu keinem Urteil geführt hat. Als Milizen ihm einen Häftling zeigten, der offenbar gefoltert worden war, schaltete Zater beiläufig seine Handykamera ein. Als die Milizen dies bemerkten, schlugen sie ihn zusammen und warnten ihn danach, dass sie ihn beim nächsten Mal umbringen würden. Es sind dies nur drei Beispiele zahlreicher Übergriffe gegen Zater. "Du darfst kein böses Wort über die Milizen verlieren", erklärt er – und hielt sich selbst nie dran.

Auf die Frage, weshalb er sich das antat, muss Zater lachen. Seine Antwort fällt kurz und konsequent aus: "Ich arbeite als Journalist und ich werde als Journalist sterben." Doch wenig später gibt er sich doch nachdenklich: "Rückblickend denke ich mir: Ich war wahnsinnig, die hätten mich alle umbringen können." Er wäre kein Einzelfall: In Libyen wurden 2014 laut der Organisation Reporter ohne Grenzen vier Journalisten getötet und 29 entführt, 139 von ihnen mussten aufgrund von Gewalt oder staatlichen Repressalien ins Ausland flüchten. Dazu gehört auch Zater.

2014 sind in Libyen vier Journalisten getötet worden. Salah Zater flüchtete, bevor es auch ihn erwischt hätte.
Privat

Im Juli 2014 berichtete Zater über bewaffnete Operationen einer Miliz in Tripolis. Die nahm daraufhin den TV-Reporter ins Visier. Seine Arbeitgeber warnten ihn, dass er nicht mehr in die Arbeit kommen soll, sie könnten ihn nicht beschützen. Andere Kollegen sagten, dass nach ihm gesucht werde. Zater flüchtete sofort nach Tunesien in die Hauptstadt Tunis. Doch sicher fühlte er sich dort ebenso wenig, Morddrohungen erreichten ihn auch im Nachbarland: "Ich habe kaum gegessen und geschlafen, und wenn doch, hatte ich Albträume." Zudem musste er aus der Distanz, fernab seiner Familie, mitansehen, wie die Lage in Libyen immer schlimmer wurde. Zahlreiche NGOs beförderten Zater schließlich aus der Gefahrenlage und ermöglichten ihm einen einjährigen Aufenthalt in Hamburg. Diesen trat er Ende Jänner an.

Angesprochen auf seine Pläne in Deutschland, bittet Zater um Geduld. Er brauche noch Zeit, um sich einzuleben. Auf alle Fälle will er ein Bewusstsein schaffen für die Verhältnisse in Libyen und die Risiken für dort arbeitende Journalisten. Ob er nach seinem Jahr in Hamburg wieder zurückkehren wird, kann er jetzt noch nicht sagen – das hänge von der Situation in seiner Heimat ab.

Hoffen auf die libysche Armee

Von den Ländern, die Libyens Revolutionären beistanden, zeigt sich Zater enttäuscht: "Sie wollten Gaddafi wegen eigener Interessen loswerden. Das libysche Volk war ihnen egal, das Land haben sie schon längst wieder vergessen." Als einziger Hoffnungsschimmer gilt ihm die libysche Armee und dabei im Besonderen Khalifa al-Haftar. Anfang März wurde der ehemalige Armeechef unter Gaddafi zum Oberbefehlshaber der libyschen Streitkräfte befördert. Schon zuvor kündigte er an, hart gegen Islamisten vorzugehen. "Er ist stark genug, er kann das Land befrieden." (Kim Son Hoang, derStandard.at, 2.4.2015)