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Bei einer prodemokratischen Protestbewegung von Studenten in Hongkong 2014 verwendeten die Aktivisten ihre Smartphones, um sich zu vernetzen; die chinesische Regierung könnte Smartphone-Apps verwendet haben, um sie auszuspionieren, meint eine US-Sicherheitsfirma.

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Der Politologe David Campbell von der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt.

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Wien - Das Internet als Medium der Emanzipation wird vielfach propagiert - und kritisiert. "Wenn du eine Gesellschaft befreien möchtest, gib ihr Internetzugang", sagte etwa der ägyptische Online-Aktivist Wael Ghonim zwei Jahre nach Beginn des Arabischen Frühlings. Der Politologe David F. J. Campbell formuliert es vorsichtiger: Digitales Wissen verbreite demokratische Ideen, verhilft aber noch nicht zum Erfolg.

Der Forscher vom Institut für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt untersucht im Sammelband "Cyber-Development, Cyber-Democracy and Cyber-Defense", wie Wissen durch neue Technologien in die Welt kommt und was es in einer Gesellschaft bewirkt.

Ideen verkaufen

Die Wirtschaft nutzte schon früh den rasanten Aufstieg der Informationstechnologie für sich. Wenn Rohstoffe knapp und Arbeitskräfte teuer werden, können immer noch Ideen verkauft werden. Unter dem Schlagwort "Cyber-Development" entdeckten einige Staaten im letzten Jahrzehnt die ökonomischen Vorteile einer gut ausgebildeten, gut vernetzten Bevölkerung.

Auch China investiert bekanntlich in Innovation. Wissen als Ressource geht nie zur Neige und kann über moderne Technologien ohne großen finanziellen Aufwand vervielfältigt und um die Welt geschickt werden. Immer mehr Geld der Wirtschaftsmacht fließt in die Forschung und in die Bildung der Bevölkerung. Wissen bleibt aber nicht dort stehen, wo ein totalitäres Regime die Grenzen ziehen möchte, gibt Campbell vor allem für China zu bedenken.

"Unsere Hypothese lautet, dass sich eine Wissensökonomie nur dann weiterentwickeln kann, wenn es auch eine demokratische Entwicklung gibt" , sagt Campbell. Gerade das Internet bringt repressive Staaten in Bedrängnis. Der Motor für die wirtschaftliche Generierung und Verwertung von Wissen bietet auch Platz für Bilder und Meinungen, die außerhalb der Weltanschauung eines autoritären Staates stehen.

"Das heißt aber noch nicht, dass es nach dem Kollaps eines Regimes automatisch zu einer Demokratie kommt", sagt Campbell. Im Arabischen Frühling begehrte eine junge, gut vernetzte Gesellschaftsschicht auf. Über 93 Millionen Nachrichten tauschten User aus dem In- und Ausland über Twitter aus, um zur Revolution in Ägypten Stellung zu beziehen. Die Welt nahm durch die Blogger vor Ort Anteil am Geschehen, auch wenn offizielle Stellen Informationen zurückhielten. Die Umwälzungen in der arabischen Welt zeigen, wie ungewiss der Ausgang einer Revolte ist: Während Tunesien erste Schritte auf dem Pfad der Demokratie macht, herrschen in Libyen seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Muammar Gaddafi 2011 Chaos und Gewalt.

Die modernen Kommunikationstechnologien schleusen Wissen an der Kontrolle des Staates vorbei - aber auch Einzelpersonen können die Fäden über ihre eigenen Daten entgleiten. "Digitales Wissen besitzt die Eigenschaft, in alle Richtungen zu diffundieren", sagt Campbell. Alles, was digital verfasst wird, sei es ein Gespräch oder eine E-Mail, könne jederzeit öffentlich gemacht werden.

Die freie Verbreitung von Wissen stützt die Demokratie, sie treibt sie aber auch an ihre Grenzen, wenn es um das Recht auf Privatsphäre geht: Das Briefgeheimnis verbietet das Ablichten und Speichern von Briefen. Im digitalen Raum setzt der rechtliche Schutz aus. Wie eine Postkarte liegt eine E-Mail für die Staatsgewalt da: unversiegelt, ungeschützt, für jeden einsichtig.

Chance für Zivilgesellschaft

Und ein weiterer gesellschaftlicher Konflikt entsteht in der Cyber-Democracy: In der Theorie führt der Zugang zu Bildung zu stärkerer finanzieller Gleichheit. In der Praxis steigen die Realeinkommen in Europa und den USA vor allem für jene, die auch vorher gut bezahlt waren. Die breite Bevölkerung profitiert weniger vom verfügbaren digitalen Wissen, als die Verfechter der Wissensökonomie es erwartet hätten.

Trotzdem sieht Campbell in Kommunikationstechnologien eine Chance für die Zivilgesellschaft in Entwicklungsländern. Durch Mobiltelefone mit Internet dringen Informationen immer leichter in entlegene Gegenden vor. "Der Versuch, Wissen zu steuern und zu blockieren, läuft immer öfter ins Leere", sieht Campbell die Zukunft der Informationsgesellschaft positiv. Das Wissen werde sich in digitaler Form weiter verbreiten - auch wenn einige Staaten derzeit noch versuchen, genau das zu unterbinden. (Marlis Stubenvoll, DER STANDARD, 25.3.2015)