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"Dies ist nicht der Anfang des Untergangs, sondern im Gegenteil der Beginn einer neuen Ära - für Nintendo, aber auch für mobiles Spielen."

Foto: REUTERS/Adrees Latif/Nintendo; Montage: zw

Als Anfang letzter Woche Nintendo ankündigte, nach sehr langem Zögern in den explosiv expandierenden Mobile-Games-Markt einsteigen zu wollen, reagierte bei manchen Spielern das blanke Entsetzen. Steht Nintendo, die Heimat der vielleicht größten Videospiel-Legenden von "Super Mario" bis "Legend of Zelda", in den letzten Jahren wirtschaftlich herausgefordert, neben Sony und Microsoft als relevante Konsolenheimat geschrumpft, nun endgültig vor dem Ausverkauf an die ungeliebte Welt von Casual und Free2Play-Abzocke?

Droht "Flappy Mario"?

Die Welt der Mobile-Games ist für viele Spieler auf den "klassischen" Spielgeräten, Konsolen und PCs, ein rotes Tuch. Einerseits haben Smartphones und Tablets mehr Menschen als je zuvor zum Spielen gebracht und so entschieden dazu beigetragen, die Beschäftigung mit Videospielen in breiten Schichten der Bevölkerung zu normalisieren. Doch der Preis dafür war manchen, die schon lange zuvor gespielt haben, zu hoch: Sie beklagen die Verflachung auch ihrer "eigenen" Spiele und sehen mit Entsetzen, dass sich Trends aus diesem Markt wegen ihres großen kommerziellen Erfolges flächendeckend einbürgern.

Ultrasimple Spielideen ohne Anspruch, eine unüberblickbare Masse an qualitativ mangelhaften, immergleichen Klonen und vor allem das Free2Play-Konzept, das seine lukrative Spielerabzocke in jedem Detail des Gameplays verankert - gerade Nintendo stand für viele als Bastion des "echten", klassischen Videospielens immer für das genaue Gegenteil dieser Seuchen des Mobile Gamings. Und nun der Sündenfall: Mit der angekündigten Kooperation mit dem Mobile-Spezialisten DeNA knickt also der letzte Titan des wahren Gamings ein. "Flappy Mario", "Pokemon Crush Saga" und ein F2P-Zelda, in dem man per Micropayments Herzteile kaufen kann - sieht so Nintendos Zukunft aus?

Nicht grundlos Legende

Fakt ist: Vorhersagen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft - und Nintendo - betreffen. Unüberlegt - oder gar panisch - ist der Schritt in den Mobile-Markt auf jeden Fall nicht: Bereits seit 2010 verhandelte Nintendo mit seinem neuen mobilen Partner, und die Kooperation ist keine Verramschung der Marken für neue Märkte. Dass Nintendo zugleich eine neue Konsole ankündigt, zeigt, dass man durchaus noch mehr vorhat - eine Kapitulation, und sei es nur vor den eigenen Aktionären, sieht anders aus.

Wenn jenes Unternehmen, das mit dem Game Boy und in Folge weiteren höchst erfolgreichen mobilen proprietären Spielkonsolen das Medium bereits vor Jahrzehnten erstmals "mobil" gemacht hat, nun seinen Kunden auf ihre täglich genutzten Geräte folgt, darf man ihm durchaus auch etwas zutrauen. Und anstatt wehzuklagen, dass Mobile Gaming Nintendo kaputtmacht, darf man sich vielleicht im Gegenteil sogar darauf freuen, dass Nintendo der Spielewelt auf Handy & Co zu einem neuen Qualitätssprung verhelfen wird.

F2P ist nicht das Böse

Eines der großen, grundlegenden Probleme des Mobile Gamings ist zweifelsohne die Struktur der Verwertung: Aus riesiger Spieleflut, fehlender Kuration und mangelnder Zahlungswilligkeit vieler Kunden resultieren absurd niedrige Preise für Premium-Spiele einerseits sowie in der Folge der kommerzielle Triumph von F2P-Modellen andererseits. Dass auch Nintendo dieses bei "klassischen" Spielern ungeliebte Bezahlmodell zumindest zum Teil übernehmen wird, scheint unausweichlich; mit "Pokemon Shuffle" für 3DS hat man bereits erste - von Spielern und Presse kritisierte - Versuche in diese Richtung unternommen.

An diesen ersten Versuchen sollte man Nintendos Weg in die Zukunft aber nicht messen: Was Fundamentalkritiker an Free2Play immer wieder übersehen, ist die Tatsache, dass inzwischen nicht nur plumpes Pay2Win und stumpfe Abzocke, sondern längst auch spielerfreundliche Varianten existieren. Hochglanz-F2P-Spiele wie Blizzards "Hearthstone", "Dota 2", "League of Legends", "World of Tanks" oder "Team Fortress" begeistern ein Millionenpublikum, das freiwillig und ohne sich gegängelt zu fühlen bezahlt, wenn es das denn möchte. Warum nicht darauf vertrauen, dass man sich in Kyoto diese Best-Practice-Beispiele genau ansieht? Wenn jemand den Wert von Qualität und sorgsamen Umgang mit seinen Marken kennt, dann Nintendo; nicht jeder Konzern fährt seine Marken derart blind an die Wand, wie EA es mit seinem F2P-Desaster "Dungeon Keeper" getan hat.

Für Mario bezahl ich gern

Mit großer Sicherheit wird Nintendo jedoch auch ganz klassische Premium-Spiele - zum fixen Verkaufspreis - für mobile Plattformen anbieten, und hierin liegt eine weitere große Chance: Mit schlechthin unerreichbar ikonenhaften Marken wie Mario oder Zelda und der sprichwörtlichen Nintendo-Qualität lässt sich auch auf den notorisch "billigen" Downloadmärkten ein vernünftiger Verkaufspreis argumentieren - vielleicht gelingt auf diesem Weg sogar ein Aufbruch zu einer anderen Bezahlungsmoral beim Publikum.

Nintendo ist auch gut aufgestellt, das - inzwischen sträflich voreilige - Vorurteil, dass Mobile Games ausschließlich supersimple Spielzeuge ohne Ansprüche sein müssten, endgültig zu widerlegen. Natürlich hat man auch an "Kleinigkeiten" viel zu bieten: Mit vielen starken Mini-Games wie jenen von "Mario Party" oder "Toad Treasure Tracker" hat Nintendo schon vom Start weg perfekte Inhalte für das kurze Spiel an der Bushaltestelle auf Lager. Und selbst wenn "Super Mario" als Endless Runner wiederkehrt: Wetten, dass Nintendo daraus ein tolles Erlebnis zaubert?

Hallo, Casuals!

Doch kleine Spiele sind nicht alles. Wer darüber hinaus weiß, welche komplexen und spielerisch genialen Kultklassiker das Portfolio der bisherigen Nintendo-Handhelds veredeln, hat wenig Zweifel, dass auch die - hardwaretechnisch sowieso bestens gerüsteten - mobilen Spielgeräte bereit dafür sind. Das mag dann vielleicht sogar - man darf träumen - eine Win-win-Situation ergeben und sowohl hartnäckige Mobile-Games-Skeptiker mit dem Spielen auf Handy & Co versöhnen als auch bislang spielerisch anspruchslose Handyspieler erleuchten.

Wenn etwa die "Monster Hunter"-Reihe, "Final Fantasy Tactics", "Advance Wars" und "Fire Emblem: Awakening" endlich von ihren proprietären Handhelds in die AppStores wandern, werden nicht nur "echte Gamer" auch ihr Handy als Spielgerät akzeptieren, sondern vielleicht bislang nur "Candy Crush" spielende Casuals mit "richtigen" Spielen Bekanntschaft schließen - und so ihren Horizont erweitern. Das Geschäft mit diesen Spielen auf den eigenen Plattformen wird man sich so nicht verderben wollen, doch als Einstieg in die Welt von Nintendo werden mobile Plattformen garantiert eine perfekte Werbung sein - für eine riesige, stetig wachsende neue Spielerschaft.

Der Beginn einer neuen Ära

Natürlich bleiben selbst bei derartigem Optimismus viele Fragezeichen und Probleme bestehen. Wie genau sich Nintendo etwa mit den am Kuchen mitschneidenden AppStore-Betreibern Apple und Google einigen wird, und wie weit sich die hohen Qualitätsansprüche und Hoffnungen in der Begegnung mit der für Nintendo noch fremden großen, weiten Welt außerhalb des eigenen Ökosystems in Einklang bringen lassen, weiß naturgemäß noch niemand.

Eine Weisheit hat aber nach wie vor Gültigkeit: Wer klug ist, schreibt Nintendo nicht ab. Dies ist nicht der Anfang des Untergangs, sondern im Gegenteil der Beginn einer neuen Ära - für Nintendo, aber auch für mobiles Spielen. Willkommen, "Super Mario Mobile Bros."! (Rainer Sigl, 23.3.2015)