Das Zusammenspiel aller Dinge, der Dualismus von Leben und Tod, kleine und große Wunder....

Foto: Kunsthaus Wien / Kawauchi

...vereint in Rinko Kawauchis Serie "Aila" (2004).

Foto: Kunsthaus Wien / Kawauchi

Wien - Das Höchste ist nicht das offenkundig Schöne, sondern die Schönheit, die erst entdeckt werden muss, die verhüllt ist. Also nicht der unmittelbare Glanz der Sonne, sondern der vom Mond gebrochene. Mit diesem Verweis auf das Mondlicht umschrieb einst ein Ostasienexperte die japanische Ästhetik des Wabi-Sabi. Auch am Freitag hat der Mond das Licht unseres nächsten Sternes gebrochen, und so fügt es sich gleich doppelt, dass Rinko Kawauchis Fotobuch Illuminance (2011) mit den Bildern einer totalen Sonnenfinsternis beginnt - und auch endet. Allerdings künden dort die ersten gleißenden Strahlen nach der Finsternis bereits das Neue, die Erneuerung an.

Freilich, wenn es um die Sterne, um die Himmelskörper geht, stellt sich schnell einmal Erhabenheit in den Bildern ein; daher ist das Wabi-Sabi so vielleicht unzureichend erklärt: Es geht insbesondere um das Schöne im Kleinen, im Unscheinbaren und Alltäglichen, um die Schönheit, die sich im Alten, in dessen Patina und Reife findet - in einem bemoosten Stein, einer rostigen Oberfläche etwa.

In den Fotografien von Rinko Kawauchi verknüpfen sich diese stillen, kurzen Momente - die schillernden Seifenblasen und glitzernden Wassertropfen - mit den Bildern von Feuer und Wasser, Luft und Erde. Beides bettet sie in das große Thema vom Kreislauf des Lebens. Ein Mensch stirbt, ein anderer wird geboren. "Das alles sind Teile des gleichen Ganzen", ist Kawauchi fasziniert. Sie glaubt nicht an einen Gott, aber an einen spirituellen Weg. "Das Dunkle ist eine wichtige Metapher und ein Schlüssel zu meinem Werk, sagt Kawauchi. "Die Dualität - Helligkeit, Dunkelheit, Leben und Tod, ist ein Kernpunkt meiner Arbeit. Es kann kein Licht geben ohne Dunkelheit - und umgekehrt."

Auf rotem Lehm liegt ein toter Falter, ein Käfer macht sich an ihm zu schaffen; den tiefen Frieden dieses Bildes stört dies jedoch nicht. Ein Feld brennt rot-orange, blau züngelt die Flamme auf dem Gasherd. Wind wiegt das Schilf, Wasser fließt, Menschen wimmeln an einer Kreuzung. Die Hände eines alten Menschens zittern: Zur Serie Illuminance zählt auch dieser Film. Kurze Momente, die sich wie im Medium Fotografie aneinanderreihen. Jedes Bild, jede Einstellung ist eindeutig und doch poetisch, öffnet Räume. Trotzdem ist für die Künstlerin das Einzelbild allein noch kein Kunstwerk, sagt sie im Gespräch mit dem STANDARD. Es ist eine Sammlung von Augenblicken, und doch sieht sich Kawauchi als Erzählerin: "Erst durch die Zusammenstellung, die Kombination oder das In-eine-Serie-Bringen ergibt sich für mich ein Narrativ."

Die 1972 im japanischen Shiga geborene Künstlerin zählt zu den wichtigsten Fotografinnen ihres Landes, und doch sind dort Ausstellungen nicht das Format der Wahl; Fotobücher sind dort das beliebtere, auch intimere Medium. Aber selbst als Ausstellung, die - so wie im Kunsthaus Wien - Einblick in mehrere Serien gibt, funktionieren ihre Aufnahmen, die von Respekt und Wertschätzung gegenüber Menschen, aber auch Dingen zeugen, die mahnen, wachsam, aufmerksam zu sein, sich Zeit zu nehmen, etwa für die Flugformationen der Vögel (Seeing Shadow), und dem Traum, der Assoziation Platz zu schaffen. Ihre Serie Aila folgt dem türkischen Wort "aile" für Familie. Wegen des schönen Klangs, aber auch weil das Wort ein breiteres Spektrum hat als das schwache "kazoku" oder das billige "family".

Ihre Sensibilität für die kleinen Wunder der Natur oder die kultischen Energien von Traditionen, wie etwa dem Brandroden, schmiegen sich - zwar nicht stilistisch, aber doch weltanschaulich, ganzheitlich - wunderbar in den Hunderwasser-Kosmos im Kunsthaus. Keine großen Hallen, sondern kleine Räume als passendes Etui für leise Bilder. Sogar Dialoge mit "echter" Natur können sich entspinnen: Verena Kasper-Eisert hat die lange verblendeten "Baummieter" wieder sichtbar gemacht, also jene Pflanzwannen, die dem Wohnbereich abgezwackt wurden, optisch wieder integriert.

"Die Natur erlaubt mir Dinge zu sehen, die mich diesen Moment spüren lassen", sagt Kawauchi, als sie für die Serie Search for the sun auch die Gletscherwelt des Dachsteins erkundet. Aber das, was sie sieht, ist nicht allein mit Zuversicht, ungetrübtem Glück verbunden. "Das Betrachten des Schönen ist mit einem Gefühl der Angst verbunden", spricht Kawauchi und fügt so ihren Bildern auch ein Rätsel hinzu. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 21./22.3.2015, Langfassung)