Das mafiöse Rom von Giancarlo De Cataldo (li.) und Carlo Bonini ist näher an der Realität, als es der Tourist gemeinhin vermutet.

Foto: Giliola Chistè

Peng! Numero Otto, der großspurige Mafiaboss von Ostia, dessen schüttere Haarpracht an eine Billardkugel mit der Nummer acht erinnert, sackt im nasskalten Herbstwind zwischen den Stranddünen zusammen. Samurai hat wieder einmal für Ruhe und Ordnung sorgen müssen. Er, der wahre König der Straßen Roms, musste sich die Finger schmutzig machen, weil die Mafia-Clans von Cinecittà und Ostia wieder einmal zu hitzköpfig waren und um ein Haar eine Jahrhundertchance in den Sand gesetzt hätten. Aber für das höhere Gut macht man auch manchmal selbst die Drecksarbeit.

Das höhere Gut: Das ist ein gigantisches Städtebauprojekt, das sich zwischen den elenden Vorstädten Roms bis zum Strand des Tyrrhenischen Meeres hinziehen soll. Millionen Kubikmeter Beton, Milliarden Euro Gewinn. Und alle sollen mitschneiden: die Politik, die Wirtschaft, die Mafia ... und die Kirche. O Dio santo!

Das Bild, das Giancarlo De Cataldo und Carlo Bonini im Thriller Suburra zeichnen, ist näher dran an der Realität, als man es als Rom-Liebhaber wahrhaben will. Denn der blendendweiße Marmor der Stadt ist nur Fassade, das Herz der Kapitale ist aber längst so, wie es der Untertitel der deutschsprachigen Übersetzung insinuiert: schwarz. Tiefschwarz.

De Cataldo und Bonini müssen es wissen. Von Beruf ist der eine Richter und der andere Aufdeckungsjournalist. Für den Plot des Buches mussten sie kaum ihre Fantasie bemühen, die Kenntnis der realen Polit- und Mafiastrukturen reichte völlig. Bestechung, Mord, Hehlerei, Erpressung, Prostitution, Drogenhandel - nichts Verwerfliches ist dem Autorenduo fremd, in jeder einzelnen Passage wird deutlich, dass es genau weiß, nach welchen Mustern der Stoff der römischen Unterwelt gewoben ist.

Der Richter und der Schnüffler: Sie schaffen es gekonnt, Fakten und Fiktion zu verbinden. So wird Bezug genommen auf tatsächliche Ereignisse und Personen, die in Suburra weiterleben - und oft auch gewaltsam sterben. So gab es die Magliana-Bande wirklich, damals in den 1970er- und 1980er-Jahren. Diese war bereits 2010 Protagonistin von De Cataldos Romanzo Criminale; und jetzt muss Samurai, der letzte Überlebende dieser Ära, dafür sorgen, dass alle cool bleiben, damit das höhere Gut nicht flöten geht. Hitzköpfe werden kaltgemacht, Größenwahnsinnige werden gedemütigt.

Der Einzige, der sich Samurai in den Weg stellt, ist Marco Malatesta. Der ist im Kopf - nomen es omen - wohl nicht ganz richtig. Er hat sich in seiner Jugend vom kriminellen Anhänger des Mafiabosses zu dessen persönlichem Feind gewandelt. Er ist jetzt ein undisziplinierbarer Polizeikommissar und will Samurai zur Strecke bringen. Koste es, was es wolle. Koste es auch die Beziehung zur Frau, die er liebt. Allein gegen die Mafia für Kaltduscher, ohne schwülstige Verklärung. Eventuell ein wenig zu dick aufgetragen.

Leider geht in der deutschen Fassung ein Kernelement verloren, ja muss verlorengehen: Das italienische Original ist über weite Strecken im römischen Ganovenslang gehalten. Das kann die sonst souveräne Übersetzung von Karin Fleischanderl freilich nicht transportieren. Es war eine richtige Entscheidung, auf den Milieusprech zu verzichten. Man stelle sich bloß vor, Suburra läge linguistisch in St. Pauli. Ganz und gar unmöglich! (Gianluca Wallisch, Album, DER STANDARD, 21./22.3.2015)