Wien – Im Endeffekt war es ein falsches Gerücht, das Frau R. wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Unmündigen vor den Schöffensenat unter Vorsitz von Sonja Höpler-Salat gebracht hat. Im Gemeindebau ging die Mär um, dass die 29-Jährige an Hepatitis C leide. Was einen 13-Jährigen in Panik versetzte. Der hatte nämlich ungeschützten, aber einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit der Frau gehabt.

Die Geschichte bietet Einblicke in die Lebenswelten mancher Gemeindebaubewohner. Es geht um Bassena-Tratsch, nächtliche Trinkgelage, eher flexible Beziehungen.

Die Tat soll sich Anfang August 2014 in der Einzimmerwohnung der – damals noch – besten Freundin der Angeklagten ereignet haben. Dort lebten die Freundin, deren Sohn – das Opfer – und ein weiteres Kind.

Gemütliche Runde am Tatabend

Am Tatabend saß man in gemütlicher Runde zusammen und trank das eine oder einige andere Glas. Die Freundin legte sich schlafen, was danach geschah, darüber gibt es unterschiedliche Schilderungen.

Die der Angeklagten ist unspektakulär. Sie sei danach noch am Tisch gesessen und habe mit dem Teenager geplaudert. Gegen 1.30 Uhr sei sie in ihre eigene Wohnung zu Lebensgefährte und Kleinkind und dort ins Bett gegangen.

Ganz anders erzählt es der aufgeweckt und reif wirkende Bub, der am zweiten Verhandlungstag überraschend im Saal sitzt und sich durchaus amüsiert.

Nach dem Abgang der Mutter sei er mit Frau R., für die er schwärmte, im Bett gelandet – zwei Meter von der schlafenden Mutter entfernt. Man entschloss sich gemeinsam, Sex zu haben, und hatte. Als er aufwachte, sei die Angeklagte schon weg gewesen.

Verwandten anvertraut

Dann kam ihm das Hepatitis-Gerücht zu Ohren. Er versuchte mehrmals, R. zu erreichen, um nachzufragen. "Ihr Fehler war, dass sie nicht mit ihm reden wollte", formuliert es Staatsanwalt Bernd Ziska. Der Bub vertraute sich nämlich daraufhin seinem Stiefvater und dem Onkel an, die Sache wurde ein Fall für die Justiz.

Eine Zeugin, die am ersten Prozesstag aufgrund einer Entziehungskur verhindert war, könnte vielleicht zur Wahrheitsfindung beitragen. "Können Sie sich an den Tag erinnern?", will Höpler-Salat wissen. "Ja", sagt die Zeugin.

Eigentlich nachvollziehbar, schließlich hat sie innerhalb von einer Stunde zweimal die Polizei alarmiert. Im ersten Fall sei die Angeklagte zu ihr in die Wohnung gekommen, habe sie geschlagen und gefordert, sie solle keine Geschichten im Haus erzählen.

Nach 23 Uhr habe die Angeklagte nochmals gegen die Tür gedroschen, sie habe Angst gehabt. Allzu groß kann die dann doch nicht gewesen sein, eineinhalb Stunden später besuchte sie nämlich die Tatwohnung und sagte Frau R., dass deren Tür offenstehe.

Auf eine Zigarette um sechs Uhr morgens

Um sechs Uhr früh sei sie nochmals gekommen, um sich eine Zigarette zu besorgen, behauptet sie. Da sei die Angeklagte noch in der Wohnung gewesen. Dass sie zweimal vorbeikam, hören die Beteiligten zum ersten Mal.

"Schlafen Sie nicht in der Nacht?", wundert sich die Vorsitzende. "Warum machen Sie das überhaupt, nachdem Sie zweimal die Polizei gerufen haben?" – "Ich weiß es nicht." – "Waren Sie betrunken?" – "An dem Tag nicht."

Irene Oberschlick, die das Opfer durch den Prozess begleitet, hat eine weitere Zeugin stellig gemacht. Diese schildert, es habe nicht nur das Gerücht über die Erkrankung der Angeklagte gegeben. "Es hat sich im ganzen Haus herumerzählt, dass sie mit dem Buben geschlafen hat." Als sie Frau R. darauf ansprach, leugnete diese das aber.

Verteidiger vermutet Verschwörung

Der Verteidiger versucht in seinem Schlussplädoyer das Ruder noch herumzureißen und vermutet eine Verschwörung. Die Vorwürfe hätten erst begonnen, nachdem ein Verfahren gegen B.s Lebensgefährten bezüglich Übergriffen gegen die kleine Tochter der besten Freundin eingestellt worden sei.

Es folgt ein seltsames Argument: "Es klingt vielleicht altmodisch, aber ich glaube schon, dass das einer der Fälle ist, wo die Emanzipation schlechte Früchte trägt. Bei einem männlichen Opfer ist es sicher nicht so schwerwiegend wie bei einem weiblichen."

Die vierfach vorbestrafte Angeklagte hat nichts mehr zu sagen. Das rechtskräftige Urteil von 18 Monaten, davon sechs unbedingt, nimmt sie an. (Michael Möseneder, derStandard.at, 19.3.2015)