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Wiener Forscher fanden nun heraus, dass auch Seeanemonen - im Bild eine Spezies aus dem Roten Meer - eine innere Querachse besitzen, die jedoch anders interpretiert wird als etwa bei Wirbeltieren. Es entsteht kein zentrales Nervensystems, sondern die Position von inneren Einfaltungen (Septen) wird festgelegt, in denen sich Längsmuskeln und Geschlechtsdrüsen bilden.

Foto: AP Photo/Dream Divers, Massimo Bicciato

Wien - Der Großteil aller höheren Tiere besitzen eine dorso-ventrale Körperachse, also eine Rücken-Bauch-Achse, die unter anderem die Lage des zentralen Nervensystems kennzeichnet. Auch die Körper der Insekten sind nach diesem Schema aufgebaut; der Grund dafür ist, dass die Körperachsen von Wirbeltieren und Insekten durch die gleichen Signalmoleküle aus der Familie der Bone morphogenetic protein (BMP)-Moleküle aufgebaut werden. Man geht daher davon aus, dass dieser Mechanismus schon in gemeinsamen Vorfahren von Insekten und Wirbeltieren auftrat.

Aufbauend auf der Erkenntnis, dass alle tierischen Lebewesen über einen ähnlichen Genpool verfügen, analysierten Wissenschafter rund um Ulrich Technau vom Department für Molekulare Evolution und Entwicklung der Universität Wien die Funktion der BMPs während der embryonalen Entwicklung der Seeanemone. "Durch die Analyse der Embryogenese von Seeanemonen haben wir erstaunliche Einblicke in die Evolution von Körperachsen gewinnen können", so Technau.

Anemonen mit inneren Querachsen

Seeanemonen gehören zu den Nesseltieren, wie auch Korallen, Hydren oder Quallen, und sind vor mindestens 600 Millionen Jahren entstanden. Sie gelten in vielen Lehrbüchern als radiärsymmetrisch, das heißt sie sind nur durch eine offensichtliche Körperachse, die oral-aborale (Kopf-Fuß) Achse gekennzeichnet. Bei den aktuellen Untersuchungen fanden die Forscher, dass die Seeanemone Nematostella vectensis sogar mehrere verschiedene BMP-Moleküle und Gegenspieler, sogenannte BMP-Antagonisten, besitzt. Diese Signalmoleküle bauen in einem frühen Entwicklungsstadium durch ein komplexes Interaktionsnetzwerk einen Aktivitätsgradienten auf, "allerdings überraschenderweise quer zur oral-aboralen Hauptachse des Tieres", wie Technau erklärt: "Dadurch wird in den Seeanemonen eine innere Querachse aufgebaut."

Die Wissenschafter schließen aufgrund von molekular-genetischen Analysen, dass der BMP-Signalweg von Vertretern dieser alten tierischen Linie wie eben den Seeanemonen bereits für die Bildung einer zweiten Achse genutzt wird, aber anders interpretiert wird als bei Wirbeltieren. Statt eines Nervensystems wird die Position von mehreren inneren Einfaltungen, sogenannten Septen oder Mesenterien, festgelegt, in denen sich die Längsmuskeln und die Gonaden bilden. Verblüffenderweise werden hierzu mehrere sogenannte "Hox-Gene" aktiviert, die bei den meisten Tieren entscheidend entlang der Hauptachse (anterior-posterioren Achse), die segmentalen Ausprägungen, wie Rippen, Arme und Beine festlegen. Diese Verknüpfung eines dorso-ventralen Signalwegs mit konservierten Regulatorgenen der anterior-posterioren Achse, ist überraschend und neu.

Konstante und veränderte Strukturen

Die Forscher fragten sich nun weiter, wie sich solche Netzwerke von Regulator-Molekülen über Hunderte von Millionen Jahren verändern können, um schließlich trotz ähnlicher Funktionsweise unterschiedliche Strukturen in verschiedenen Tieren zu erzeugen. In Kollaboration mit Mathematikern von der ETH Zürich konnten die Autoren mittels mathematischer Modellierungen zeigen, welche Teile dieses Netzwerks bis heute konstant geblieben sind und welche sich abwandeln konnten, um neue Funktionen in der Evolution hervorzubringen.

"Das BMP-Netzwerk der Seeanemonen ist also nicht nur ein Beispiel für ein Signalsystem, das über 600 Millionen Jahre in den Aufbau der Körperachsen involviert ist, sondern wir lernen auch daraus, wie sich solche wichtigen Netzwerke weiter entwickeln können", so Technau. (red, derStandard.at, 21.3.2015)