In der großräumigen Installation "Psychoprosa" von Thomas Feuerstein im Innsbrucker Taxispalais spielen Glasskulpturen eine wesentliche Rolle.

Foto: WEST. Fotostudio, © 2015 Bildrecht, Wien

Innsbruck - Das Labor ist ein Dauerbrenner im zeitgenössischen Kunstdiskurs. Und es ist wohl einer der überstrapaziertesten Begriffe. Oft verleiht er als Hilfskonstrukt assoziativen Versuchsauslegungen, die es noch nicht zur Versuchsanordnung geschafft haben, Bedeutung. Übrig bleibt das Labor in seiner Wortbedeutung (laborare = "arbeiten", "leiden", "sich abmühen"). Kunst als Forschung ist Trend, das Labor ihr Ort. Auf Feuersteins Installation Psychoprosa, die in der Tat ein großes, selbsttätiges Labor ist, trifft allerdings eines sicher nicht zu: eine Worthülse zu sein.

Die Räume der Galerie werden zu Experimentier- und vor allem Produktionsfeldern. Es gibt das Gewächshaus, die Laborküche, den Kühlraum und die immer brodelnde Fabrik. Die Kolben, Destillationsbrücken und Kühler sind durch Schläuche verbunden. Mikroorganismen werden in Photobioreaktoren gepumpt und produzieren mittels Photosynthese Algen. Der Bioreaktor stellt für den Organismus die optimalen Lebensbedingungen her und kann als Sinnbild des Lebensraums selbst gelesen werden. Algen wiederum – ein altbekannter Stoff in Feuersteins Œuvre – gelten als Wundermittel, deren Eigenschaften gleich mehrere Menschheitsprobleme lösen sollen: den Welthunger, den Klimawandel, den peak oil.

In Feuersteins Gewächshaus werden sie zusammen mit Pilzen kultiviert. Aus Dopamin (den Algen entnommen) und Psilocybin (den Pilzen) entsteht in der Laborküche das bislang in der Natur nicht vorkommende Molekül Psilamin: eine psychotrope Substanz. Als Molekül ist es auch "die kleinste Skulptur der Welt", die erst im Körper wirksam und sichtbar wird, indem sie die Wahrnehmung verändert.

Übrig bleibt viel Abfall (Glykoprotein). Ein Schleim, der durch Erhitzen, Kühlen und Rühren durch die Galerieräume gepumpt wird und zum Hauptprotagonist der Ausstellung wird. Er endet in der unteren Halle in raumhohen Glasgefäßen, die überquellen - ein schier nie versiegender Fluss. Diese "größte Skulptur der Welt" wird von einer Psilamin-Molekül-Grafik mit dem Gesamtwerk H.P. Lovecrafts flankiert, dem Pionier der Schleimmonster. In einer Kultur, die von der Geburt bis zum Tod damit beschäftigt ist, sich trocken zu halten, wird der Mensch trotzdem ein Leben lang vom Schleim begleitet, kommt aus ihm und geht in ihn zurück. Es ist das Ende und der Höhepunkt der Ausstellung.

Stand bei früheren Arbeiten Feuersteins (geb. 1968 in Innsbruck) noch die Transformation von organischem Material in beispielsweise Kohle oder Glukose im Zentrum, um als Ausgangsmaterial für Malereien zu dienen, so ist nun der biochemische Prozess als solcher die Erzählung. Die Geräte und Stoffe sind die Akteure, getragen von einem oft ironischen Zitatamalgam aus Film, Literatur, Comics und Philosophie. Das ist eine neue Dimension in Feuersteins Arbeiten. Aber auch logische Konsequenz.

Was das Ganze auch zu einem ästhetischen Erlebnis macht, sind die Glasbehälter und -kolben: wunderbare, leuchtende Skulpturen, hergestellt vom Glasbläser Bernd Weinmayer, mit dem etwa auch Martin Walde arbeitet. Feuerstein ist die skulpturale Dimension wichtig. Es sind nie rein naturwissenschaftliche Geräte, sie zitieren den Kunstkontext. Die angeschlossenen Schläuche zeichnen Linien durch die gesamte Galerie. Die Kühlschränke dienen auch als Sockel oder werden zu einer raumgreifenden Installation, in der sich Türen wie von Geisterhand öffnen und schließen, Kompressoren an- und ausgehen.

Psychoprosa, der Titel der aufwändigen Installation, verweist auf eine Erzählung, eine konzeptuelle Narration, die dem Besucher aufgetischt wird. Und sie verweist auf den Mensch, der durch ein Gefühlslabor zwischen Fakt und Spekulation, zwischen Wissenschaft und Pop wandert, das als Metapher auf gesellschaftliche Prozesse des Entstehens, Wachsens, Kooperierens und Bekämpfens, des Schmiedens von Allianzen und Ausverhandelns eines Regelwerkes begriffen werden kann. (Robert Gander, DER STANDARD, 19.3.2015)