Emotionen können auf bestimmten Spracherwerbstufen leichter in der Erst- beziehungsweise Familiensprache geäußert werden, sagt Amela Emrić-Mirković.

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Wenn Personalverantwortliche, Betriebsräte oder Schulleiterinnen Probleme in ihren multikulturellen Teams orten, rufen sie die Mediatorin Amela Emrić-Mirković. Das Fremdsprachenverbot an der Mödlinger Vienna Business School, um interkulturelle Konflikte zu vermeiden, sieht sie als klare "Themenverfehlung", da Erst- und Familiensprachen oft zur Lösung von Konflikten beitragen können.

derStandard.at: An der Vienna Business School in Mödling gab es laut der Schulleiterin einen interkulturellen Konflikt zwischen den Schülern und dem Reinigungspersonal. Um diesem Problemen beizukommen, soll nun in der Schule von allen Beteiligten ausschließlich Deutsch gesprochen werden. Halten Sie das für eine sinnvolle Maßnahme?

Emrić-Mirković: Ich sehe in Verboten keine Möglichkeit von positiven Gefühlen und auch keinen sensiblen Umgang mit Macht. Durch das Verbieten von Mehrsprachigkeit wird meiner Meinung nach der Konflikt noch verdichtet: Vieles wird nicht verstanden, wenn wir uns eine einzige Sprache vorschreiben.

Menschen haben, das ist aus dem Prozess des Spracherwerbs bekannt, auch sogenannte "Herzenssprachen". Eine Liebeserklärung oder eine berufliche Mail verfassen wir, selbst wenn uns nur eine Sprache zur Verfügung steht, auch mit unterschiedlicher Tonalität. So ist es auch bei mehrsprachigen Menschen. Emotionen können auf bestimmten Spracherwerbsstufen leichter in der Erst- beziehungsweise Familiensprache geäußert und auch von anderen vernommen werden. Der sogenannte "Untertitelungseffekt", der durch den Gebrauch anderer, eigener Sprachen neben dem Deutschen entsteht, ist in der Konfliktbearbeitung sehr nützlich, es wird dadurch viel mehr verstanden, und damit erhöhen sich die Chancen auf eine Lösung.

Meine Note für diese Maßnahme und Konfliktlösung lautet daher nicht nur "Nicht genügend", sondern auch Themenverfehlung.

derStandard.at: Wie kann man an einem Ort der gelebten Vielsprachigkeit mit dieser umgehen, ohne dass es Konflikte und Verbote geben muss?

Emrić-Mirković: Bevor ich darauf antworte, möchte ich feststellen, dass Missverständnisse an einsprachigen und auch mehrsprachigen Orten Normalität sind. Auch Konflikte sind normal, auch wenn wir eher keinen normalen Umgang damit pflegen. Überall, wo Menschen zusammenkommen, gibt es unterschiedliche Bedürfnisse, Interessen, die ausgetauscht und ausverhandelt werden. Soziale Konflikte gehören zum sozialen Lernen. Insofern würde ich mit einer veränderten Haltung Konflikten gegenüber beginnen. Das muss kein "Jööö, ein Konflikt"-Ansatz sein, sollte aber als Chance gesehen und nicht als Gefahr hochstilisiert werden.

Projekte wie Peer-Mediation und innerbetriebliche Mediation, ob an Schulen, in Betrieben, Gewerkschaften etc., halte ich für sehr wertvoll.

derStandard.at: Wer bittet Sie in der Regel bei Ihrer Arbeit als Mediatorin um Hilfe?

Emrić-Mirković: Um Hilfe bitten mich Personalverantwortliche, Betriebsrätinnen, Abteilungsleiterinnen, Schulleiterinnen. Oft komme ich auch in Nachbarschaftskonflikten zum Einsatz. Dann sind es die Genossenschaft, die Gemeinde oder auch private Personen, die sich an mich wenden.

derStandard.at: Wie schauen mögliche Wege der Konfliktbewältigung in solchen Fällen aus?

Emrić-Mirković: Es ist wichtig, dass Menschen sich gut artikulieren und verständlich machen können. Ich komme oft in einer Doppelrolle zum Einsatz: als Mediatorin und Dolmetscherin. Oder es kommen Mediatorinnen, die Teilnehmer der Mediation und Dolmetscherinnen zusammen. Es geht auch darum, eine eventuell bestehende Macht-Asymmetrie auszugleichen, die sich im Status der Teilnehmer zeigt: Welches Geschlecht und Lebensalter haben sie, wie lange leben sie hier, welche Sprache sprechen sie, welcher Tätigkeit gehen sie nach? Das Setting ist also besonders wichtig, ebenso das Thema der Macht.

derStandard.at: Wie sehen mögliche Lösungen aus?

Emrić-Mirković: Lösungen in der Konfliktbearbeitung sind so unterschiedlich, wie Menschen sind, der Weg zur Lösung ist immer der gleiche: Er führt über das Verständnis, Erkennen des anderen und seiner selbst, Kontakt mit den eigenen Emotionen und eventuellen inneren Nöten, Erkennen der eigenen Bedürfnisse hin zu einer Transformation der Beziehung. Der Weg zu Lösungen in der "interkulturellen" Mediation ist ganz selten vereinbarungsorientiert, sondern eben eine Veränderung der Haltung zu sich und den anderen. Es ist immer Arbeit, Beziehungsarbeit, würde ich sagen.

derStandard.at: Trotz des gesellschaftlichen Konsenses, dass Mehrsprachigkeit als positiv anzusehen ist, hört man immer wieder Stimmen, und zwar nicht nur aus dem rechten Lager, die "Deutsch zuerst!" fordern.

Emrić-Mirković: Klar ist, dass wir eine gemeinsame Verkehrssprache brauchen, darüber hinaus geht es darum, dass die Gesellschaft vorhandene sprachliche Ressourcen wertschätzt und fördert. In der öffentlichen Diskussion bei uns werden oft nur die in Institutionen erworbenen und auch nur bestimmte Sprachen positiv bewertet. Die meisten Sprachen der neuen Bürgerinnen und Bürger erfahren nicht diese Wertschätzung. Statt für Verbote bin ich für Sichtbarkeit von Mehrsprachigkeit und Gleichwertigkeit der Sprachen, Platz für die Nennung von mehreren Erst- und Familiensprachen auf den Formularen – auch in der Schule –, positive Berücksichtigung sprachlicher Kompetenzen in der Besoldung Angestellter im öffentlichen Dienst und in anderen Institutionen – manche Länder leben das bereits. Sprachen sollten nicht bewertet werden.

Um den Wert von Mehrsprachigkeit bewusst zu machen, die in großen Teilen der Welt eigentlich die Norm ist, ist sicher auch von politischer Seite her viel zu tun. Ich sehe seit über 40 Jahren kaum positive Ansätze in diese Richtung. Das ist aber auch nicht der Freibrief dafür, sich aus der Verantwortung zu nehmen. Alle sollten anderen Sprachen und Sprecherinnen oder Sprechern offen und wertschätzend begegnen. Die Erwartungen an die Politik befreien auch keine Schulleiter und Schulleiterinnen und andere verantwortliche Führungskräfte vor ebendieser Verantwortung. (Olivera Stajić, derStandard.at, 18.3.2015)

Amela Emrić-Mirkovi ist eingetragene Mediatorin und Dolmetscherin. Sie hat Translationswissenschaften, Sozial- und Kulturanthropologie sowie Mediation und Konfliktregelung studiert und ist seit über 20 Jahren in unterschiedlichen Bereichen (Schule, Arbeitsmarktpolitik, Flüchtlingswesen, IKT, Immobilienbranche) tätig.
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