Wenn der österreichische Wissenschafter Gottfried Schatz über die Unterfinanzierung des Wissenschaftsfonds FWF und gleichzeitig über die Hypo-Bankenpleite nachdenkt, packt ihn die Wut.

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STANDARD: In Ihrer Rede zur Eröffnung der 650-Jahr-Feiern an der Uni Wien sagten Sie, dass die Universitäten die breite, reflektierende Sicht auf die Welt vernachlässigen. Warum ist das so?

Gottfried Schatz: Die Universitäten sind heute vorwiegend Stätten der Wissensvermittlung und professionellen Ausbildung und lehren nur selten das Hinterfragen menschlichen Tuns. Die Bologna-Reform hat diesen Prozess zusätzlich beschleunigt, weil sie die Studierenden in ein enges Zeitkorsett zwängt. Unter Bildung verstehe ich nicht Allgemeinbildung – die ja auf reiner Wissensvermittlung fußt – sondern Charakterbildung. Dafür braucht es persönliche Vorbilder: großartige Wissenschafter, die die Studierenden begeistern können.

STANDARD: Ist das ein rein österreichisches oder ein gesamteuropäisches Phänomen?

Schatz: Die Probleme betreffen alle europäischen Universitäten. In Österreich sind sie jedoch durch die allgemeine Geringschätzung von Wissenschaft und Forschung besonders gravierend. Diese Geringschätzung hat dazu geführt, dass der Abstand der österreichischen Universitäten zu den guten Universitäten des europäischen Auslands größer wird. Ich spreche von Großbritannien, Deutschland, der Schweiz, Schweden und den Niederlanden. Ich vermisse in Österreich jegliches Interesse, etwas dagegen zu tun – von großartigen Lippenbekenntnissen abgesehen. Als gebürtiger Österreicher tut mir dies weh.

STANDARD: Woher kommt diese Missachtung?

Schatz: Ich vermute, dass sie in der Geschichte des katholischen Österreich tief verwurzelt ist. Für Kaiser Franz Joseph und seine Beamten war Wissenschaft kein dringliches Anliegen. Nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie gab es zwar eine kurze Blütezeit, die aber durch Antisemitismus und Nationalsozialismus ein jähes Ende fand. Und nach 1945 gab es kaum einen hohen Politiker, der sich engagiert für die Wissenschaft einsetzte. Ein Großteil der Bevölkerung kokettiert damit, "nichts von Wissenschaft zu verstehen". Ich kenne zwar auch Wissenschafter, die Shakespeare nicht gelesen haben, aber sie sind nicht stolz darauf.

STANDARD: Würden Sie in einem derartigen Klima heute in Österreich studieren wollen?

Schatz: Das allgemeine Wissenschaftsklima ist nicht gut, aber Österreich bietet auch heute noch attraktive Ausbildungsstätten in Physik, Biomedizin und in vielen anderen Bereichen der Natur- und Geisteswissenschaften. Einen Vorwurf kann ich aber auch den österreichischen Studierenden nicht ersparen: Sie fordern kostenlosen, unbegrenzten Zugang zu den Unis. Selektion ist für viele von ihnen ein Schimpfwort und Investition in die eigene berufliche Zukunft eine unzumutbare Belastung. Diese Einstellung ist mit Exzellenz unvereinbar.

STANDARD: Die Studiengebühren von 364 Euro brachten der Uni Wien fünf Prozent des Budgets. Gleichzeitig wuchs der Verwaltungsaufwand. Zahlt es sich aus, eine derart heilige Kuh zu schlachten, wenn es kaum etwas bringt?

Schatz: Auch wenn ich nun gesteinigt werden sollte: 364 Euro pro Semester sind nicht seriös. Die Studiengebühren sollten nicht so hoch wie in den USA sein, wo sie derzeit mörderisch sind. Aber zwischen 1000 und 2000 Euro sollten möglich sein, solange der Staat bedürftigen Studierenden ausreichend Stipendien oder zinsenfreie Darlehen anbietet. Die Absolventen können diese Darlehen dann zurückzahlen, wenn sie eine Stelle gefunden haben.

STANDARD: Ist es wirklich nötig, das Uni-Budget mit Studiengebühren zu entlasten?

Schatz: Mir geht es nicht um das Budget der Universitäten, sondern um die Eigenverantwortung der Studierenden. Ein Universitätsstudium ist kein Recht, sondern ein Privileg für die, die dafür die Begabung und die Motivation mitbringen. Wenn heute Maturanten nicht so recht wissen, was sie tun sollen, beginnen viele von ihnen irgendein Studium, das nicht allzu schwer ist. Dieses verzerrte Demokratieverständnis ist in Österreich stark entwickelt. Demokratie garantiert aber nur gleiche Chancen, nicht gleiches Talent oder gleichen Erfolg.

STANDARD: Unis klagen über knappe Budgets, wodurch könnte diese Situation also verbessert werden?

Schatz: Universitäten sollten so weit wie möglich vom Staat finanziert werden. Auch private Zuwendungen sind willkommen, solange sie echtes Mäzenatentum darstellen und nicht an Bedingungen geknüpft sind. Wenn ich höre, wie wenig Geld der Wissenschaftsfonds FWF hierzulande erhält und wenn ich dann gleichzeitig von den Milliarden lese, die Steuerzahler aufgrund der Hypo-Alpe-Adria-Pleite zahlen, packt mich die Wut. Zwar machen auch andere Staaten finanzielle Fehler – inklusive der von mir sehr geschätzten Schweiz -, aber in Österreich scheint niemand dafür die Verantwortung zu übernehmen. Das System hat sich selbst bedient, und eine Pleite wie das Hypo-Desaster ist dann eben ein "systemimmanenter" Fehler.

STANDARD: Da Sie die Schweiz mit Österreich vergleichen: Wie erklären Sie sich, dass die Schweiz die Grundlagenforschung viel stärker fördert als Österreich, hierzulande aber die Industrieforschung deutlich mehr erhält?

Schatz: In der Schweiz regiert die Mentalität von Kaufleuten, in Österreich die von Beamten. Wir Wissenschafter verstehen uns eher mit Kaufleuten, weil diese pragmatisch sind, international denken und automatisch auf Wettbewerb und Exzellenz setzen. Die Schweiz hat sich für ihre Universitäten und Forschungsinstitutionen seit jeher Wissenschafter aus der ganzen Welt geholt und so eine nachhaltig funktionierende Grundlagenforschung aufgebaut. Kein Wunder, dass forschungsintensive Unternehmen sich gerne in der Schweiz ansiedeln. Steuerliche Anreize sind da viel weniger wichtig als in Österreich, das keine vergleichbare wissenschaftliche Infrastruktur anzubieten hat.

Standard: Geht es wirklich vor allem um die Infrastruktur und ums Geld?

Schatz: Den österreichischen Universitäten fehlt auch eine Willkommenskultur. Als ich mir überlegte, eine Professur an der renommierten Cornell University in den USA anzunehmen, lud mich der Präsident der Universität zu sich nach Hause ein und überraschte mich mit der Frage: "Dr. Schatz, we want you. What can we do for you?" Ich fürchte, dass so etwas in Österreich nur selten zu hören ist. Es geht jungen Wissenschaftern nicht immer nur ums Geld, sondern auch darum, geachtet und gewollt zu werden.

STANDARD: Noch kurz zu Ihrer schriftstellerischen Tätigkeit: Sie haben nun erstmals einen Roman veröffentlicht. Wie kam es dazu?

Schatz: Ich schrieb schon während meiner Zeit im Schweizer Wissenschaftsrat regelmäßig Essays über Wissenschaft für das Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung. Diese Essays stießen auf breites Interesse und erschienen später als Bücher, die sich gut verkauften und in viele Sprachen übersetzt wurden. Nun wollte ich einmal meiner Fantasie freien Lauf lassen und herausfinden, welche Geschichten in meinem Kopf herumschwirren. Dabei überraschte es mich, dass ich keine Ahnung hatte, wie sich die Handlung meines Romans entwickeln würde. Nachdem ich die Charaktere der Personen einmal festgelegt hatte, begannen diese nach ihren eigenen Gesetzen zu handeln, die ich als Autor nicht mehr beeinflussen konnte. Ich hoffe, dass der Roman einen spannenden Einblick in die Welt der Wissenschaft vermitteln kann. Für einen Bestseller hat er aber eindeutig zu wenig expliziten Sex. (Peter Illetschko, DER STANDARD, 18.3.2015)