Friedrich Kiesler vor dem Eröffnungsplakat seines "Film Guild Cinema" in New York (1929).

Foto: Friedrich Kiesler Stiftung, Wien

Kieslers Multifunktions-Möbel-Skulpturen namens "Correalistisches Instrument" und "Rocker".

Foto: Wittmann Möbelwerkstätten

Eine Theaterbühne sei kein Knopfloch, das dekoriert wird, keine Kiste mit einem Vorhang als Deckel. Sie sei ein selbstständiger Organismus, sagte Friedrich Kiesler einmal. Es gibt viele gute Sprüche aus seinem Munde. Es gibt aber auch andere gute Gründe, eine Geschichte über Friedrich Kiesler zu schreiben. Erstens jährt sich sein Geburtstag heuer zum 125. Mal, zweitens der Tag seines Dahinscheidens zum 50. Mal. Als Draufgabe wird in gut zwei Wochen ein nach ihm benannter Preis an den amerikanischen Künstler Bruce Nauman verliehen. Der allerwichtigste Grund liegt allerdings darin, einmal mehr zu sagen, wer dieser Friedrich Kiesler war, denn noch immer hat es sein Werk nicht geschafft, in ein breiteres Bewusstsein einzudringen. Genau dort sollte es allerdings längst sein.

Kiesler war ein großer Formgeber, der Möbel ebenso entwarf wie visionäre Häuser oder schwebende Bühnenbilder. Josef Hoffmann war einer seiner Auftraggeber, zu seinen Bekannten zählten Salvador Dalí, Luis Buñuel, Alvar Aalto, Max Ernst oder André Breton. Marcel Duchamp wohnte sogar ein Jahr lang bei Kiesler. Bei der Eröffnung seines "Film-Guild-Cinema" in New York, wo er 1926 mit mehr als vierzig Kisten aus Wien ankam, saßen Alexander Archipenko und George Gershwin im Publikum.

Loos & Warhol

Noch intensiver, als Kiesler seine Projekte entwarf, dachte er diese. Über das Wohnen sagt er: "Ein Haus ist die Summe jeder möglichen Bewegung, die sein Bewohner in ihm ausführen kann!" Kieslers Entwürfe wirken futuristisch und doch in den technischen, sozialen und philosophischen Fragestellungen seiner Zeit verankert. Ihrer Zeit voraus sind sie zum Teil bis heute. Grenzen wollte Kiesler, der 1890 in Czernowitz zur Welt kam, nicht nur verbiegen, sondern auf verspielte, zum Teil freche Art sprengen. Sicher ist: Kiesler, der sich in den USA Frederick statt Friedrich nannte, passt in keine Schublade. Peter Bogner, Direktor der Wiener Kiesler-Stiftung in der Mariahilfer Straße, verortet das Faszinierende an diesem Gestalter in seiner unglaublichen und fast einzigartigen "zeitgenössischen Relevanz". Die Dimension von Kieslers Kosmos reiche vom Umfeld von Adolf Loos und Josef Hoffmann über die Surrealisten bis hin zum Werk eines Andy Warhol. Auch zwischen diesem und Kiesler gab es Kontakt.

Kiesler, eine Art Stanley Kubrick der Formgebung, gründete neben seinem Planungsbüro in New York auch ein "Labor für ganzheitliche Designkonzepte". 1950 zeigte Kiesler, der an der Technischen Hochschule und an der Akadmie der bildenden Künste in Wien studiert hatte, das erste Modell für sein "Endless House", eine Art architektonisches Überraschungsei. Sein Entwerfer kommentiert dies folgendermaßen: "Die fortlaufende, fließende Schalenkonstruktion des Endlosen Hauses ist keine verstiegene Skulpturidee, noch ist sie die Nachahmung eines Eies. Die kugelige Gestalt leitet sich von der sozialen Dynamik der zwei oder drei Generationen ab, die unter einem Dach leben ..."

Schatz

Im Gegensatz zum Motto "form follows function" meinte Kiesler: "Die Funktion folgt der Vision. Die Vision folgt der Realität." Klingt ein Stück weit verkopft, kann sich aber sehen lassen, heute vor allem in Form seiner Möbelobjekte. Zwei davon sind das "Correalistische Instrument" und der "Rocker" (s. kleines Foto). Die Sammlerin Peggy Guggenheim hatte 1942 Kiesler den Auftrag erteilt, eine Schneiderwerkstatt in New York in eine Kunstgalerie zu verwandeln. Dabei entstanden auch diese beiden Möbel, die auf den ersten Blick wie prähistorische Gelenkteile oder dreidimensionale Holzpuzzlestücke daherkommen. Den Objekten mit ihrer scheinbar willkürlich amorphen Form liegt allerdings ein streng geometrisches Konstruktionsschema zugrunde. Sie funktionieren unter anderem als Tisch oder Bank ebenso wie als Sessel oder Skulptur. Kiesler über die Möbel und den "Correalismus", jene Bezeichnung, die er seiner Design-Theorie gab: "Der funktionelle Kern war so kraftvoll verdichtet, dass er zu seiner Hauptfunktion andere Funktionen erzeugt, wie sie gerade praktisch waren und unvorhergesehen. Diese 18 Möglichkeiten waren nicht das Ergebnis eines technischen Popanzes, sie waren in der ersten Struktur, in der Anfangszelle des Projektes enthalten, wie die vielseitig spezialisierten Funktionen der Organe schon im amorphen Embryo des Menschen vorhanden sind."

Was für einige Prachtstücke wie das "Correalistische Instrument" nicht gilt - die Wittmann Möbelwerkstätten produzieren neben diesem auch mehrere andere Kiesler-Objekte - trifft leider für die meisten von Kieslers Architekturprojekten zu. Sie blieben auf dem Papier. Von den circa 50 Bühnenbildern ist keines erhalten. Fast ironisch klingt in diesem Zusammenhang Kieslers Sager "Wir arbeiten für Theater, die das Theater überlebt haben". Hier sieht auch Peter Bogner einen Grund, warum Kieslers Werk nicht die Popularität genießt, die ihm zustünde. Es ist zu wenig sichtbar, seine Power scheint in erster Linie in der Theorie präsent.

Wie gut also, dass es da die Kiesler-Stiftung gibt, die sich als Ort für Ausstellungen, Symposien, als Forschungslabor, aber auch umfassendes Archiv versteht, und sich besonders im heurigen Jahr mit internationalen Ausstellungen unter der Beteiligung von zeitgenössischen Künstlern umtriebig zeigt. Was die Stiftung noch ist? "Eine Schatztruhe", sagt ihr Direktor. (Michael Hausenblas, Rondo, DER STANDARD, 20.3.2015)