Bild nicht mehr verfügbar.

Rund sechs Millionen Wahlberechtigte sind am Dienstag zur Parlamentswahl aufgerufen.

Foto: APA/EPA/ABIR SULTAN

In den letzten drei Tagen vor Parlamentswahlen dürfen laut israelischem Gesetz keine Umfrageergebnisse mehr veröffentlicht werden – umso spannender war die Frage, ob sich durch eine Verschiebung von ein paar Mandaten das Bild vielleicht noch klären würde. Man wird wohl auch nach den ersten Prognosen gegen 21.00 Uhr noch nicht wissen, wie Israels nächster Premierminister heißt. Yitzhak Herzog, der Chef der Arbeiterpartei, wird mit seinem linksliberalen Wahlbündnis "Zionistisches Lager" zwar fast sicher auf Platz eins liegen, aber für eine Mitte-links-Koalition wird seine Decke zu kurz sein. Dass umgekehrt auch das Gleiche für eine Rechtskoalition unter dem amtierenden Premier Benjamin Netanjahu gelten könnte, war die überraschende Entwicklung der Wahlkampf-Endphase.

Netanjahu umwarb nach der Stimmabgabe in Jerusalem wieder nach rechts abgefallene Wähler, als er versprach, er werde als Ersten Naftali Bennett von der siedlernahen Partei "Unser Heim Israel" ansprechen, "damit er gemeinsam mit mir eine nationale Regierung bildet".

"Wechsel und Hoffnung"

Herzog fuhr von Wahllokal zu Wahllokal, um seine Botschaft von "Wechsel und Hoffnung" zu verkünden: "Ihr macht jetzt Geschichte für das Schicksal des Landes und unserer Kinder", sagte er vor Wahlhelfern in Tel Aviv, "damit wir ihnen ein besseres Leben bringen können und Wohnungen und Wohlstand."

Nachdem die Wähler gesprochen haben, ist der Staatspräsident am Wort. Reuven Rivlin wird entweder Netanjahu oder Herzog mit der Regierungsbildung beauftragen müssen, und in der erwarteten Pattsituation wird das eine heikle Entscheidung. Herzog wird optisch das Vorrecht haben, sofern er die größte Parlamentsfraktion anführt. Aber Netanjahu wird darauf pochen können, dass die Rechten und Religiösen zusammen mehr Mandate haben als jene Parteien, die Herzog unterstützen. 2009 etwa hatte Netanjahu vom zweiten Platz aus die Regierung gebildet, als der Likud um ein Mandat weniger bekommen hatte als die inzwischen versunkene Zentrumspartei Kadima – die wurde damals übrigens von Zipi Livni geleitet, die jetzt Herzogs Verbündete ist.

Zur großen Koalition verurteilt

Wenn, wie erwartet, weder für Netanjahu noch für Herzog eine "eigene" Koalition möglich ist, werden sie dazu verurteilt sein, sich zusammenzuraufen. Aus Rivlins Umfeld hieß es schon vor der Wahl, er würde die beiden im Interesse des Landes zu einer großen Koalition drängen, was man in Israel als "Regierung der nationalen Einheit" bezeichnet. Der Ausgang könnte sogar so unklar sein, dass man sich auf eine "Rotationsregierung" einigen muss, obwohl Netanjahu und Herzog das im Wahlkampf ausgeschlossen haben: Zwei Jahre der eine und dann zwei Jahre der andere. Ein völlig unentschiedenes Wahlergebnis hatte in Israel schon einmal eine Premier-Rotation notwendig gemacht: In der Legislaturperiode zwischen 1984 und 1988 räumte der Sozialdemokrat Shimon Peres absprachegemäß für den Konservativen Yitzhak Schamir den Fahrersitz, und die große Koalition hat damals sogar recht gut funktioniert.

Außer auf Rivlin werden sich die Blicke vor allem auf Mosche Kachlon richten, der mit den erwarteten acht bis zehn Mandaten seiner neuen Zentrumspartei "Kulanu" ("Wir alle") gelassen bestimmen kann, in welche Richtung sich die Waagschale neigt. Kachlon, ein populärer Ritter des Kampfes gegen Monopole, Banken und hohe Preise, war bis 2013 Netanjahus Kommunikationsminister gewesen, hatte dann aber den Likud verlassen. In dem Bemühen, das Steuer herumzureißen und frustrierte Mittelschichtwähler anzulocken, hat Netanjahu zwei Tage vor der Wahl Kachlon öffentlich den Posten des Finanzministers versprochen. Doch Kachlon wies die Umarmung als "Spin" zurück und hielt sich auch die Tür zu Herzog offen. (Ben Segenreich aus Tel Aviv, derStandard.at, 17.3.2015)