Zum Schluss werden es noch 12.000 oder 13.000 Menschen sein, die in den beiden Flüchtlingslagern zurückbleiben. Was mit den bhutanischen Flüchtlingen in Nepal passiert, die bis Ende des Jahres nicht in ein Drittland auswandern können, weiß niemand so genau. Seit Beginn der Flüchtlingswelle nach Nepal in den 1990er-Jahren kamen insgesamt rund 100.000 Bhutaner ins Land.

Die überwältigende Mehrheit von ihnen gehört den Lhotsampas an, was so viel heißt wie "aus dem Süden". Ihre Vorfahren waren im 17. Jahrhundert aus Nepal nach Bhutan eingewandert. Mit dem Staatsbürgerschaftsgesetz von 1958 wurde ihnen die bhutanische Staatsbürgerschaft verliehen, doch schon bald sah die führende Schicht der Ngalong, der auch der König angehört, die Lhotsampas als Bedrohung an und nahm ihnen immer mehr Rechte.

Jeder sechste Bhutaner diskriminiert

Vor allem in den westlichen Medien wird Bhutan als das Land des Lächelns und der glücklichen Einwohner wahrgenommen. Insbesondere die Erwähnung des "Bruttonationalglücks" anstatt des "Bruttoinlandsprodukts" im Jahr 1979 durch den damaligen König trug zu diesem Bild bei. Aber schon zwei Jahre vor dieser Aussage hatte die sukzessive Diskriminierung von rund einem Sechstel der Bevölkerung begonnen. Mit dem neuen Staatsbürgerschaftsgesetz wurde Lesen und Schreiben der Sprache Dzongkha eine Voraussetzung. Für die Lhotsampas ein fast unmöglicher Kraftakt, da die Nepali sprechenden Menschen oft nicht einmal ihre eigene Sprache lesen oder schreiben konnten und eine neue Sprache lernen mussten.

Eine 1988 durchgeführte Volkszählung entzog den Lhotsampas schließlich vollkommen ihre Rechte. Der Zensus, der nur im Süden – wo die Volksgruppe lebt – durchgeführt wurde, klassifizierte die Bewohner in insgesamt sieben Kategorien. Um als vollwertiger Bhutaner angesehen zu werden, musste ein Steuerbescheid aus dem Jahr 1958 – dem Jahr, in dem die Staatsbürgerschaften verliehen worden waren – vorgewiesen werden. Einige Lhotsampas konnten teilweise Steuerbescheide von 1957 und 1959 vorlegen – das interessierte die Behörden in Bhutan aber nicht. So verloren fast alle Lhotsampas ihre Staatsbürgerschaft.

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Bhutanische Flüchtlinge warten auf ihre Umsiedlung in ein neues Land. Nach Bhutan zurück können sie nicht, in Nepal haben sie keine Rechte.
Foto: AP Photo/Binod Joshi

Demonstranten ohne Prozess festgehalten

Mit weiteren Verschärfungen Ende der 1980er-Jahre regte sich vor allem im Süden des Landes reger Widerstand, und im Jahr 1990 gingen tausende Menschen auf die Straße. Die Teilnehmer der Demonstrationen wurden festgenommen, teilweise monatelang ohne Prozess festgehalten und gefoltert. Bei ihrer Freilassung mussten viele Demonstranten ein Papier unterschreiben, wonach sie Bhutan freiwillig verlassen werden. Oft versehen mit einem Bild, auf dem sie gezwungen wurden zu lächeln. Die erste Flüchtlingswelle nach Indien setzte ein.

Doch die indischen Behörden wollten die Lhotsampas nicht haben. Vor allem nachdem Indien als eine Schutzmacht des kleinen Königreichs Bhutan gilt. Und so setzten die Grenzbeamten die Flüchtlinge in Busse und brachten sie an die Grenze zu Nepal. Monatlich erreichten so mehrere Hundert Menschen das Land.

Ohne Rechte in Nepal

Als 1991 die Zahl der Flüchtlinge 5.000 erreichte, bat Nepal die Vereinten Nationen um Hilfe, und UNHCR übernahm die Verantwortung für die sieben Lager. In den darauffolgenden Jahren erhöhte sich die Zahl auf 108.000 Geflohene. Das Rote Kreuz Nepal schätzt, dass gleichzeitig aber 10.000 bis 15.000 Lhotsampas außerhalb der Lager und rund 15.000 bis 30.000 Flüchtlinge in Indien leben.

Nepal gestand den Menschen keine Rechte zu, da das Land die Flüchtlingskonvention niemals unterzeichnet hat. So konnten die Geflohenen weder Land besitzen noch arbeiten und hatten auch keinen Zugang zum nepalesischen Sozialsystem. Laut Deepesh Das Shresta von UNHCR dulden die nepalesischen Beamten allerdings, dass Flüchtlinge auf den nahegelegenen Märkten kleinen Arbeiten nachgehen. Die meisten Bewohner der Lager würden allerdings vollkommen von den Lieferungen des Welternährungsprogramms abhängig sein.

Probleme auch in Drittstaaten

Abseits von Hilfsorganisationen interessierte sich auf der politischen Ebene niemand für die tausenden Flüchtlinge. Bis sich im November 2005 Australien, Kanada, Dänemark, die Niederlande, Neuseeland, Norwegen und die USA zur "Kerngruppe" zusammenschlossen. Mit Ende 2007 begann schließlich ein Umsiedlungsprogramm, bei dem sich die sieben Nationen verpflichteten, 85.000 Menschen aufzunehmen.

Rund 80.000 Lhotsampas reisten in die USA. Doch dort hörten ihre Probleme nicht auf. Binnen sechs Monaten muss der Kredit von 5.000 Dollar der Internationalen Organisation für Migration für Reisekosten zurückbezahlt werden. Für die meisten Geflohenen eine unbezahlbare Summe. Laut einem Bericht der Behörde für Krankheitskontrolle und -vorbeugung in den USA aus dem Jahr 2012 töteten sich, statistisch gesehen, 24,4 von 100.000 Bhutanern selbst. Der Wert ist knapp doppelt so hoch wie der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung in den Vereinigten Staaten im selben Zeitraum.

Für die Flüchtlinge ist das Umsiedlungsprogramm allerdings der einzige Weg aus den Lagern. "Diese Menschen sind isoliert, sehen keine Zukunft und ändern schließlich ihre Einstellung, dass irgendwas passieren soll – Hauptsache, es passiert etwas", sagt Richard Skretteberg vom Norwegian Refugee Council. Insgesamt gibt es für den Flüchtlingsexperten nur drei Möglichkeiten für die Lhotsampas: nach Hause nach Bhutan zu gehen, was ihnen aber von den Behörden verwehrt wird; sich lokal in Nepal zu integrieren, was ihnen ebenfalls von den Behörden verwehrt wird; oder das Land zu verlassen.

Nepal und Bhutan verhandeln seit 15 Runden

Doch nicht alle Flüchtlinge wollen die Hoffnung aufgeben, nach Bhutan zurückzukehren. Die dezimierte Anzahl an Menschen in den verbleibenden beiden nepalesischen Lagern stellt die Hilfsorganisationen aber vor neue Herausforderungen. "Auch wenn immer mehr Flüchtlinge gehen, muss vor allem der Gesundheits- und Bildungsbereich für die Zurückgebliebenen aufrechterhalten werden", sagt Shresta von UNHCR. Durch die sinkenden Flüchtlingszahlen wird es auch für die Hilfsorganisationen schwerer zu argumentieren, die Programme weiterzuführen.

Über die Zukunft der Lhotsampas hatten die Regierungen von Nepal und Bhutan bereits 15 Gesprächsrunden – ohne Ergebnis. "Die nepalesische Regierung versuchte, das Thema bei jeder Gelegenheit mit Bhutan zu besprechen", weiß Shresta von den Bestrebungen des Gastgeberlandes. Er ist sich aber auch sicher, dass es Hoffnung für eine Lösung des Problems gibt: "Die Gespräche sind zwar sehr langwierig, bewegen sich aber in eine positive Richtung", so der UNHCR-Mitarbeiter.

Skretteberg sieht aber nicht nur Nepal und Bhutan in der Pflicht, sondern die gesamte Staatengemeinschaft. "Mit der Umsiedlung der Flüchtlinge ist das Problem zwar physisch gelöst – doch was ist mit Entschädigungszahlungen für diese Menschen, die alles verloren haben?", stellt er die rhetorische Frage. Die Weltgemeinschaft dürfte nicht zulassen, dass das Thema in Vergessenheit gerät: "Außer man akzeptiert ethnische Säuberungen." (Bianca Blei, derStandard.at, 17.3.2015)