Wien - Der blutige Schädel in Kreons Hand: Ist es Eteokles oder Polyneikes? Die ersten freien Wahlen in der Geschichte Thebens nach dem Sturz des Tyrannen sind schiefgegangen. Das Volk wollte Freiheit und wusste dann nichts anderes damit anzufangen als Anarchie. Da fällt ein zweiter blutverschmierter Klumpen auf die Bühne des Theaters an der Gumpendorfer Straße, die eingangs gestellte Frage hat sich erübrigt: Beide zur Wahl aufgestellten Söhne des Ödipus sind tot. Kreon, Chef der Palastwache, wird notgedrungen zum neuen Souverän. Er plant den Aufbau einer Demokratie. Eine paradoxe Situation.

Aus Sophokles' Mythos um Ödipus und Antigone hat Marc Pommerenig einen um Kreon gebaut. Bis auf Figurenpersonal und manche Eckpunkte der Handlung blieb dabei nicht viel gleich.

"Ich schreib' Geschichte um und fort und neu. Unsere Aufgabe: Arbeit am Mythos", erklärt Athens König Theseus, bei dem Ödipus zusammen mit seiner Tochter Antigone Zuflucht gefunden hat, als sich die Nachrichten über Thebens Zustand überschlagen. Ödipus' Plan, auf den Thebener Thron zurückzukehren, wird sich ebenso wenig erfüllen wie die demokratische Revolution, die Ismene, die zweite Tochter dieses "Motherfuckers", anstoßen will. Am Ende wird Kreon immer noch König wider Willen sein, sonst ist ja "keiner mehr übrig".

Pommerenig arbeitet nicht am, sondern mit dem Mythos: Keine Nacherzählung des antiken Stoffes, sondern eine Parabel auf Macht und Politik, über die Entstehung politischer Mythen und die Inszenierung von Dissidenz hat er geschrieben. Die Ukraine und Julia Timoschenko etwa fallen ihm zu seiner aktualisierenden Adaption ein. Und so gibt es neben Palästen Sportwägen und neben Sehern Jetset-Schlampen und treten die antiken Herrscher zur Verkündung von Verhandlungserfolgen über Schüleraustäusche im dunklen Anzug vor die Presse. Kalkül und Show lassen keinen Platz für Veränderung.

Dora Schneider gestaltet die Uraufführung des sprachlich gewitzten Textes als sehr direkte Interpretation, in der manch Zwischentöne allzu eindimensional daherkommen. Angesichts der politischen Verhältnisse in vielen Weltgegenden mag solche Radikalität passen, doch geht das poetische Kippen der Vorlage zwischen Tragik und Komik dabei leider oft in (ironischen) Posen unter. Das macht die Figuren immer wieder plakativ. Ebenso die konventionell "zeitgenössischen" Kostüme. Trotz guter Leistung des Ensembles hätte das Ganze etwas mehr Lässigkeit vertragen. (Michael Wurmitzer, DER STANDARD, 17.3.2015)