Offenheit und Privatsphäre: Aktivistin Aruna Roy, Orbán-Kritikerin Júlia Király, IWM-Chefin Shalini Randeria, Netz-Denker Evgeny Morozov und Facebook-Kläger Max Schrems.

Foto: Matthias Cremer

Wien – Der Wunsch nach mehr Transparenz kann gefährlich werden. Dutzende Menschen hat er in den vergangenen Jahren etwa in Indien das Leben gekostet. Sie hatten auf Basis des weitreichenden indischen Gesetzes für ein Recht auf Information grundlegende Informationen von öffentlichen Stellen erbeten – und damit wohl den Klüngel aus Bürokratie und Wirtschaftsinteressen bedroht, der von der Geheimhaltung seiner Deals profitiert. Das Streben nach absoluter Transparenz hat aber auch dann seine Gefahren, wenn es zu erfolgreich ist – und nicht von Bürgern, sondern von Unternehmen betrieben wird, die aus zuvor höchstpersönlichen Daten oder öffentlichen Gütern Profit schlagen – und diesen einen Geldwert geben.

Er würde jedenfalls nicht gern in einer solchen Gesellschaft leben, in der "jede einzelne bewusste oder unbewusste Handlung einen Preis bekommt", sagt der weißrussisch-amerikanische Publizist und Internet-Vordenker Evgeny Morozov. Um ein Beispiel zu nennen: "Wenn Sie in der Früh in der Dusche singen, könnten Sie plötzlich feststellen, dass der Hersteller ihres Shampoos wissen will, was das für ein Song war. Und dann können Sie diese Information für 20 Cent verkaufen."

Marktlogik über die Hintertür

Das sei vielleicht nett – aber was, wenn Versicherungen beginnen, aus den Daten der Handy-Ernährungs-App Rückschlüsse auf Krankheiten zu ziehen? Und was, wenn nur noch Daten – Klickraten im Journalismus, Profite in der Medizin, Jobaussichten statt kritischen Denkens in der Ausbildung – zählten? "Ich glaube, die Werte werden alle zweitrangig, wenn die Marktlogik über die Hintertür der Information eingeschleust wird."

Wie viele Facetten das Abwägen zwischen dem Schutz persönlicher Daten und dem Ringen um Informationsfreiheit haben kann, zeigte am Sonntagvormittag im Burgtheater die Diskussion "How Much Transparency Does Democracy Need?", die als Teil der Reihe "Europa im Diskurs" vom Haus am Ring, dem Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), der Ersten Stiftung und dem STANDARD ausgerichtet wurde.

"Sie wissen sowieso alles über mich", sagte Júlia Király, die 2013 als Vize-Gouverneurin der ungarischen Zentralbank zurückgetreten war, über die Regierung von Premier Viktor Orbán. Wenn Facebook ihre Daten habe, sei das für sie kein zusätzliches Problem. "Lasst uns für Offenheit sorgen! Das ist die einzige Möglichkeit, den Weg von einer transparenten Demokratie zu einer illiberalen und intransparenten Nichtdemokratie" zu stoppen, auf dem sich Ungarn derzeit befinde.

Zufluchtsort für Proteste

"Für uns sind das Internet und Facebook keine Gefahren, sondern Möglichkeiten, gegen die Regierung und für Transparenz zu kämpfen." Ungarn entspreche formell in fast allen Facetten europäischen Regeln. "Im täglichen Leben wird die Gewaltenteilung aber Schritt für Schritt ausgehebelt". Das Netz sei Zufluchtsort für Gegner einer Regierung, die erst jüngst den Vertrag mit der russischen Rosatom über den Ausbau des Kernkraftwerks Paks per Gesetz für 30 Jahre zum Staatsgeheimnis erklärt hat. So sollen Anfragen auf Basis des bestehenden Gesetzes für freien Informationszugang unterbunden werden.

Eine Anekdote aus ihrer Arbeit hatte auch Moderatorin Shalini Randeria parat. Die heutige IWM-Rektorin habe sich lange mit dem Wirken der Weltbank befasst. Entsprechende Gesetze allein hätten dabei nicht zum Ziel geführt. Aktivisten in Indien hätten die Institution gezwungen, Regeln für die Vergabe von Geldern offenzulegen. "Resultat der Freiheit der Information war, dass es zwei Dokument-Arten gab: für internen und für externen Gebrauch."

Immerhin, entgegnete Aruna Roy, wenn es solche Gesetze gebe, bringe es Institutionen und Regierungen unter Zugzwang. Die heute 68-Jährige hat sich im Laufe ihrer Karriere von einer Spitzenbeamtin in der indischen Regierung zu einer Sozialaktivistin gewandelt. Ihr Engagement gegen frühere Kollegen gipfelte 2005 in einem Gesetz für ein Recht auf Information, das seither von acht Millionen Indern genutzt wurde – in Wahlkämpfen, von Medien und von kritischen Bürgern, die plötzlich von Beamten wissen wollten, wohin staatliche Essensrationen verschwunden waren oder wieso bestimmte Baufirmen öffentliche Aufträge erhalten hatten. "Die Kampagne für das Gesetz hat der indischen Öffentlichkeit gezeigt, dass die Regierung unsere Angelegenheit ist – die Angelegenheit der Menschen." Man dürfe sie nicht den Parteien allein überlassen.

Umverteilung von Information

Daran, dass es hierzulande bisher nicht einmal ein derartiges Gesetz gibt, erinnerte Netz-Aktivist und Anwalt Max Schrems, dessen Sammelklage gegen Facebook Anfang April in Wien erstmals verhandelt werden soll. "Statt eines Gesetzes zur Freiheit der Information gibt es in Österreich die Freiheit, Leute anzurufen, die Information haben und weitergeben." Das sei zwar mit Sicherheit kein Ersatz, habe sich aber auch als erfolgreiche Strategie erwiesen.

Insgesamt tritt er für "Umverteilung der Information ein. Die Frage sei: "Kriegen nur die Großen Information und die ganze Macht, die damit einhergeht; oder kommen wir an einen Punkt, an dem Kleine ein wenig Privatsphäre behalten und die Großen dafür ein bisschen transparenter werden?" (Manuel Escher, DER STANDARD, 16.3.2015)