Eine Zahl mit zehn Nullen: 250 Milliarden Euro. Das ist die geschätzte Summe, die allein in Deutschland Jahr für Jahr vererbt werden wird. Auf diese gigantische Zahl stößt uns das neue Buch der deutschen Journalistin und Sachbuchautorin Julia Friedrichs. Und sie beschreibt damit nicht nur ein Phänomen, das unsere Gesellschaft nachhaltig prägen oder besser gesagt einholen wird, sondern auch ein Thema, über das kaum jemand, der davon betroffen ist, spricht - zumindest nicht in der Öffentlichkeit: Erbschaft und Erben.

Gewissermaßen wachgerüttelt durch persönliche Beobachtungen im eigenen Umfeld - warum sich mittelalte Leute plötzlich Wohnungen um eine halbe Million Euro leisten können und andere eben nicht -, nimmt die Autorin, Jahrgang 1979, die interessierte Leserschaft an der Hand und führt sie von Fall zu Fall. Denn Julia Friedrichs stützt sich nicht nur auf ihr sorgfältig zusammengetragenes Datenmaterial, sondern sie tut das, was noch kaum jemand in dieser Intensität gemacht hat: Sie spricht mit den Erben selbst.

Denn, so die harte These von Friedrichs, in Zukunft wird die Antwort auf die Frage "Bist du Erbe oder nicht?" ganz entscheidend dafür sein, wie du leben wirst. Friedrichs hat nach etli- chen Absagen ein erstaunlich breites Panoptikum der Erbengesellschaft für ihr interessantes Buch zusammengetragen, das erstaunlich gut darüber Auskunft gibt, was dieses Erbe mit Menschen macht, was das Geld der Eltern den Erbenden ermöglicht - wie hoch manchmal der Preis dafür sein kann und wer daran gut mitverdient. Und: Sie skizziert immer wieder sehr bildlich, wie eine europäische Gesellschaft ausschauen könnte und sehr wahrscheinlich wird, deren Wohlstand sie eher lähmt als vorantreibt. Wer seinen Thomas Piketty (Das Kapital im 21. Jahrhundert) noch nicht gelesen hat, der bekommt ihn und seine U-Kurve bei Friedrichs quasi mit einer Menge an sehr plastischen Beispielen nachgeliefert und die immer wiederkehrende Frage, warum Erbe in Deutschland (und auch in Österreich) so begünstigt ist und Arbeit so belastet - und warum es über diese Form der Ungleichheit aber trotzdem - noch - kaum Debatten gibt. (Mia Eidlhuber, DER STANDARD, 14.3.2015)