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Auch im Panel "Violence in the Middle East – No Space for Humanitarians?" war Syrien das bestimmende Thema. Im Bild ein Flüchtling in Ketermaya, südlich von Beirut.

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Das Flüchtlingscamp Al Zaatari in der jordanischen Stadt Mafraq.

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Es diskutierten (von links nach rechts): Frances Charles, World Vision, Omar Nuseir, Koordinator für humanitäre Hilfe in Jordanien, Walter Posch, National Defence Academy, Journalistin Karin Kneissl und Mark Ohanian von der Organisation IOCC.

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Die Syrien-Krise zog sich wie ein roter Faden durch den Humanitären Kongress in Wien – kein Wunder, zählt sie doch zu den größten humanitären Krisen in der jüngeren Geschichte. 3,9 Millionen Menschen sind seit Beginn des Bürgerkrieges 2011 aus Syrien geflohen, die meisten davon in die Türkei. Dies ist die offizielle Zahl, also jener Flüchtlinge, die bei der UNHCR registriert sind. Die tatsächliche Zahl dürfte Schätzungen zufolge bei 4,5 bis 5 Millionen liegen.

Druck auf Nachbarländer

Mehr als 650.000 Flüchtlinge sind laut offiziellen Angaben in das Nachbarland Jordanien entkommen, wo nun insgesamt 1,4 Millionen Syrer leben. 1,2 Millionen Syrer sind über die Grenze in den Libanon geflüchtet. Jeder Vierte in diesem Land, das kleiner ist als das Bundesland Tirol, ist also ein syrischer Flüchtling – eine Zahl, die man sich hierzulande kaum vorstellen kann. Auch wenn der Prozentsatz der syrischen Flüchtlinge gemessen an der einheimischen Bevölkerung in Jordanien mit rund zehn Prozent deutlich geringer ist als im Libanon, stoßen auch hier die Ressourcen und Infrastruktur des Landes an ihre Grenzen.

Der Druck auf die Gastländer ist enorm. Auch sie benötigen humanitäre Unterstützung, um den Flüchtlingen weiterhin eine Grundversorgung sowie Bildung, Gesundheitsdienstleistungen und dergleichen zukommen lassen zu können. Zu den Flüchtlingen, die es außer Landes geschafft haben, kommen laut OCHA, dem Büro für die Koordination humanitärer Angelegenheiten des UN-Sekretariats, bereits 7,6 Millionen Binnenflüchtlinge innerhalb Syriens. Insgesamt benötigen 12,2 Millionen Menschen humanitäre Hilfe – darunter sind 5,6 Millionen Kinder. All diese Zahlen wurden am Kongresstag nicht nur einmal genannt.

Syrer helfen Syrern

Dass diesen Menschen geholfen wird, liegt nicht nur in den Händen der UN-Hilfsorganisationen, sondern auch vieler NGOs wie beispielsweise World Vision oder IOCC (International Orthodox Christian Charities). Allerdings darf auch die Hilfe, die die Syrer einander leisten, nicht außer Acht gelassen und schon gar nicht unterschätzt werden. Laut Mark Ohanian von IOCC sind die größten humanitären Helfer die Syrer selbst, die ihr Heim für ihre vertriebenen Landsleute öffnen und das wenige, das sie haben, teilen. Klar gestellt wurde aber auch, dass in Bezug auf Syrien und dem Irak keine Hilfe der Welt mit dem Bedarf Schritt halten könne.

Humanitären Raum ausverhandeln

Die im Titel des Panels aufgeworfene Frage, ob es denn Raum für humanitäre Hilfe gibt, beantworteten Ohanian wie auch die Vertreterin von World Vision, Frances Charles, mit Ja. Dieser Raum sei aber begrenzt, nehme stetig ab und müsse immer wieder neu mit den verschiedenen Konfliktparteien verhandelt werden. Es sei eine Sache, mit Hilfskonvois ins Bürgerkriegsland Syrien hineinzukommen, aber eine andere, sich zwischen den Gebieten, die von Regimetruppen, bewaffneten oppositionellen Gruppen oder dem Islamischen Staat (IS) kontrolliert werden, zu bewegen. Ob eine Hilfsorganisation in den jeweiligen Gebieten arbeiten kann oder nicht, hängt laut Charles von den Verhandlungen über den Zugang mit der jeweiligen Konfliktpartei beziehungsweise der Akzeptanz der Organisation durch eben jene Konfliktpartei ab.

Die Aufgabe der NGOs

Der Grundtenor der Diskussionsrunde darüber, wie mit dem Bürgerkrieg in Syrien umgegangen werden soll, war eindeutig: Für den Konflikt in Syrien kann es nur eine politische Lösung geben. Sowohl Charles als auch Ohanian betonten, dass die Krise in Syrien nicht auf humanitäre Weise gelöst werden könne, und dies auch nicht Aufgabe humanitärer Organisationen sei. Ihre Aufgabe sei es, unmittelbar auf die Krise zu reagieren, humanitäre Hilfe zu leisten und eine Lücke zu füllen, die politische Lösungsansätze hinterlassen, sowie Druck auf jene Akteure auszuüben, die den politischen und finanziellen Einfluss haben, tatsächlich etwas zu verändern.

Menschen schützen

Charles kritisierte die internationale Staatengemeinschaft, welche in Syrien und dessen Nachbarstaaten scheitere und nicht ihrer Verantwortung nachkommen würde, die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen. Auch im Bezug auf die Rolle des UN-Sicherheitsrats fand sie klare Worte. Er solle endlich seiner Verantwortung, die Menschen dieser Welt zu schützen, nachkommen, anstatt durch die Vetomächte blockiert zu werden.

"Humanitäre Interventionen gibt es nicht"

Der Ruf nach einer politischen Lösung wurde auch durch die Aussagen der anderen Diskutanten deutlich. Autorin Karin Kneissl lehnt Interventionen des Westens im Nahen Osten ab und verwies sowohl auf den Irak als auch auf Libyen, wo unter anderem die militärische Operation der USA und ihrer Verbündeten 2003 einerseits, sowie die humanitäre Intervention im Jahr 2011 andererseits zu der heutigen Situation, inklusive Vormarsch des IS, in den beiden Ländern beigetragen haben. "So etwas wie humanitäre Interventionen", sagte die Nahostexpertin Kneissl, "gibt es nicht." Hinter solchen Interventionen würden immer andere Interessen, im Klartext Öl und Gas, stecken und nicht der humanitäre Aspekt. Grundsätzlich könne der Nahe Osten und somit auch die derzeitige Lage in der Region nicht verstanden werden, wenn die Geschichte sowie der Faktor Öl außer Acht gelassen werden. Kneissl sprach sich dafür aus, ohne Vorbedingungen an den Verhandlungstisch zurückzukehren, also die Maxime, Assad müsse gehen, aufzugeben.

Politische Lösung

Omar Nuseir, stellvertretender Direktor der Humanitarian Relief Coordination Unit des jordanischen Ministeriums für Planung und internationale Kooperation, betonte ebenfalls, dass eine politische Lösung der einzige Weg sei, um die Syrien-Krise zu lösen. Er rückte den Fokus auf die Rolle der internationalen Gemeinschaft, um dem Blutvergießen in Syrien ein Ende zu setzen und alle Parteien für Verhandlungen zusammenzubringen. Wie nun die geforderte politische Lösung aussehen, wer konkret an den Verhandlungstisch geholt und wie mit dem IS umgegangen werden soll, blieben die Teilnehmer der Diskussionsrunde dem Publikum schuldig.

Gefahr IS

Ob auch mit dem IS verhandelt werden soll, wurde nur vorsichtig angesprochen und die Frage aufgeworfen, wer dies denn tun soll. Dass der IS nicht nur für Syrien und den Irak, sondern für die ganze Region eine Bedrohung ist, steht außer Zweifel. Ohanian stellte aber klar, dass der IS kein lokales Phänomen, sondern selbst für die Region etwas Fremdes sei. Je länger der IS allerdings in der Region bleibe, desto stärker werde er sich festsetzen – auch in den Köpfen der Menschen, vor allem der Kinder. Darin sieht Ohanian eine große Gefahr.

Müde Krieger

Kneissl zog ein deprimierendes Resümee über die Lage im Nahen Osten. Zu ihrem Einstiegskommentar, dass der Erste Weltkrieg in dieser Region noch nicht zu Ende sei, fügte sie zum Schluss hinzu: "Kriege enden erst, wenn alle völlig erschöpft sind. Das ist im Nahen Osten noch nicht der Fall." Bleibt nur zu hoffen, dass die Menschen bald der Kriege im Nahen Osten müde werden. (Fiona Köllner, derStandard.at, 13.3.2015)