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Jus-Professorin im US-Senat: Elizabeth Warren.

Foto: Reuters/GARY CAMERON

Elizabeth Warren steht auf einem Gewerkschaftskongress hinter einem Pult mit der Aufschrift "Raising Wages", "Löhne erhöhen", und statt Statistiken vorzulesen, erzählt sie aus ihrem Leben. Sie war zwölf, da erlitt ihr Vater, angestellt als Teppichverkäufer in Oklahoma City, eine Herzattacke und verlor seinen Job. Worauf die Familie ihr Auto verlor und bald auch der Verlust der eigenen vier Wände drohte. "Wir waren dicht davor. So dicht", sagt Warren und legt Daumen und Zeigefinger aneinander, sodass nur eine millimeterkleine Lücke bleibt.

Ihre Mutter Pauline, erschrocken und entschlossen, lief im Sonntagskleid zum nächsten Kaufhaus von Sears, um nach einer Stelle zu fragen. Mit 50 Jahren begann Pauline Herring Kühlschränke und Waschmaschinen zu verkaufen, wofür sie den Mindestlohn erhielt. Der Mindestlohn, kommt Warren zum Punkt, reichte damals, Anfang der 1960er Jahre, um eine Familie über Wasser zu halten. Heute undenkbar.

Angst vor Schuldenspirale

Das Besondere an Warren ist, dass sie ihr gesamtes Berufsleben einem einzigen Thema widmet. Dem Kampf der kleinen Leute, allem voran dem Trauma Schulden. Schon ihr Vater Donald habe Verbindlichkeiten gefürchtet wie die Pest, aus Angst, von einer Schuldenspirale in bitterste Armut getrieben zu werden, erzählt sie. Darum habe er über Geld nie geredet, "meine Antwort dagegen war, alles zu studieren, Verträge, Finanzen, ökonomisches Versagen".

In den Hörsälen wurde die Frau aus Oklahoma zur Koryphäe für Insolvenzrecht, ab 1995 an der Harvard Law School, quasi dem akademischen Olymp. 2012 wählten sie die Bürger von Massachusetts zur Senatorin. Es gibt eine wachsende Fangemeinde, die sie bestürmt, fürs Weiße Haus zu kandidieren und Hillary Clinton, der Favoritin der Demokraten, beim Vorausscheid Paroli zu bieten.

Warren ist 65, fast so alt wie Clinton, und hat deutlich jüngere Anhänger, ähnlich wie einst Barack Obama. So bedeckt sie sich hält, allein schon der Diskurs um ihre Bewerbung lässt ihre Partei ein Stück nach links rücken.

Schock der Finanzkrise

Dass die Professorin in die Politik wechselte, lag am Schock der Finanzkrise. Zuvor hatte sie in zwei Büchern ein Klischee hinterfragt, das Stereotyp des angeblich verantwortungslosen Schuldenmachers, beruhend auf Einsichten, die sie im texanischen San Antonio gewann. Warren studierte die zahlungsunfähigen Menschen, die dort im Gerichtssaal saßen. "Ich glaube, ich hatte die landläufige Meinung so komplett zu meiner eigenen gemacht, dass ich erwartete, auf ungepflegte, verschlagene, irgendwie unehrenhafte Leute zu treffen. Was mir auffiel, war, wie normal sie alle aussahen."

In 90 Prozent aller Fälle, lernte sie, waren die Betroffenen aus einem von drei Gründen in die Pleite gerutscht: Verlust des Arbeitsplatzes, Krankheit, Scheidung. Seine Frau sei an Krebs gestorben; obwohl sie krankenversichert war, habe sie 65.000 Dollar an offenen Rechnungen hinterlassen, fasste es einer zusammen.

Dem Platzen der Immobilienpreisblase folgte eine Lawine von Zwangsvollstreckungen, ausgelöst durch windige Hypotheken, deren anfängliche Niedrigzinsen später umso steiler stiegen. Um Wiederholungen zu vermeiden, legte sich Warren für eine neue Verbraucherschutzbehörde ins Zeug: Es gehe nicht an, dass es für jeden Toaster exakte Sicherheitsvorgaben gebe, nicht aber für hochwichtige Kreditverträge. Als das Consumer Financial Protection Bureau nach langem Gezerre gegründet war, ging der Chefposten an Richard Cordray, einen Staatsanwalt aus Ohio. Hätte er Warren nominiert, fürchtete Obama, wäre sie, ein rotes Tuch für viele Republikaner, beim Bestätigungsverfahren durchgefallen.

Die Casino-Mentalität der Geldinstitute, die debattenstarke Gelehrte hat sie in bissiger Satire aufgespießt. "O Gott, der arme Mister Banker. Er kassiert Millionen, weil er seinen Job wirklich gut macht. Wie konnte er da wissen, dass seine Bank kurz vor dem Kollaps stand?", schreibt Elizabeth Warren in A Fighting Chance, ihren Memoiren. Die Vorstellung, einige Finanzinstitute seien zu groß, um sie scheitern zu lassen, verführe die Branchenriesen, "sich wie Betrunkene an einem wilden Wochenende in Las Vegas zu benehmen".

Für einen starken Staat

Es sind Sätze, die einen Nerv treffen. Der Ärger auf die Finanzwelt ist noch nicht verraucht, und er beschränkt sich nicht auf die Linke. Was Warren unterscheidet, ist ihr Credo, nach dem der Staat nicht der feindliche Moloch ist, sondern ein Faktor, der über lange Abschnitte die Stärke der USA ausmachte, allem Kult um den robusten, legendären amerikanischen Individualisten zum Trotz.

Vor gut drei Jahren hielt sie aus dem Stegreif vor Wählern in einem überfüllten Wohnzimmer eine Rede, die sie endgültig berühmt werden ließ. Es gebe niemanden in diesem Land, der allein aus eigener Kraft reich geworden sei, begann sie. "Du hast dort draußen eine Fabrik aufgebaut, gut für dich. Aber du hast deine Waren auf Straßen befördert, für deren Bau alle anderen bezahlt haben. Du hast Arbeiter angestellt, deren Bildung alle anderen bezahlt haben." Wer erfolgreich sei, dem sei ein dicker Brocken seines Geldes gegönnt. Zum sozialen Kontrakt gehöre es aber auch, einen Brocken abzugeben, "vorauszuzahlen für den Nächsten, der des Weges kommt". (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD)