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Michael Sturminger: "Ich habe eher den Eindruck zu erwecken versucht, als ob Horváth das Libretto geschrieben hätte."

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Über die Entstehung der Oper "Geschichten aus dem Wiener Wald": "Der Nali (Komponist HK Gruber, Anm.) wollte das zuerst überhaupt nicht machen, und David Pountney (ehemaliger Intendant der Bregenzer Festspiele, Anm.) wollte unbedingt ein neues Libretto bei einem zeitgenössischen Autor in Auftrag geben. Ich hab die wirklich bearbeitet! Ich hab dem Nali gesagt, schau, was der Verdi im Alter komponiert hat: einen Otello, einen Falstaff! Lulu, Wozzeck, Salome: alles Literaturopern!

Die Komponisten haben sich immer bei den besten Autoren bedient. Es hat noch nie einer Oper geschadet, dass das Stück zu gut war! Ödön von Horváths Geschichten aus dem Wiener Wald haben eine theatralische Substanz und tolle Rollen, und dadurch hat die Oper auch eine Chance, nach der Uraufführung weiterzuleben. Und die Komische Oper Berlin wird sie auch tatsächlich machen, in ihrer eigenen Produktion."

Über seine Inszenierung: "Das Stück ist ein Meisterwerk, eine Ikone, und meine Inszenierung ist auch zurückhaltend und klassisch. Da braucht man nicht so zu tun, als müsse man die Geschichte neu erfinden. Ich habe das Stück jedoch in einer Art abstrakten Gegenwart angesiedelt.

Pountney hatte Schwierigkeiten damit, dass die Inszenierung nicht in den Dreißigerjahren spielt und einige historische Datierungen nicht stimmen, aber das ist mir nicht so wichtig. Natürlich ist die Thematik der alleinerziehenden Mutter heute in den bildungsnahen Schichten nicht mehr so dramatisch, natürlich kann man als Frau heute viel leichter ein Kind allein aufziehen. Aber trotzdem: wie sehr werden Frauen in der ganzen Welt noch unterdrückt!"

Über sein Libretto: "Es war klar, dass ich Text wegnehmen musste, sonst wäre die Oper viel zu lang. Ich habe dann den halben ersten Akt weggelassen, da er nicht unbedingt notwendig ist, damit man die Charaktere und die Beweggründe für ihr Handeln versteht. Dann habe ich das Ganze so verändert, dass jemand, der das Stück nicht superpräsent hat, eh glaubt, alles gesehen zu haben. Ich habe keine eigene Fassung geschrieben, habe eher den Eindruck zu erwecken versucht, Horváth hätte das Libretto selbst geschrieben."

Über den Wechsel der Inszenierung vom Bregenzer Festspielhaus ins Theater an der Wien: "Es ist ein viel kleineres Theater, alles rutscht näher zusammen. Es wird intimer werden, die schauspielerischen Qualitäten kommen mehr zum Tragen. Ganz grundsätzlich ist es aber natürlich wunderbar, die Oper ein zweites Mal machen zu können - speziell für die Sänger. Sie sind beim Einstudieren ihrer Partien an ihre Grenzen gegangen. Im Theater an der Wien können sie jetzt viel befreiter, lockerer agieren, weil sie schon wissen, sie können's. Es gab ein paar Ministriche, ein paar kleine Korrekturen - ich glaube, das Werk wird in Wien weniger opernhaft daherkommen."

Über HK Gruber: "Er ist ein Phänomen. Es ist ja kein Wunder, dass er in England und in Amerika so gut angekommen ist. Bei uns ist er ja nur belächelt worden, vom deutschsprachigen Feuilleton wird er ja immer noch geschlagen. In der Neuen Musik gab es ja ein absolutes Spaßverbot und ein Sinnlichkeitsverbot. Da herrschte eine fast religiöse Orthodoxie und Dogmatik.

Gruber kann auf so genaue und feine Art komisch sein wie kein anderer, und im Komischen ist aber auch immer etwas Ernstes. Und er ist vom Beat durchdrungen, er ist ein Rhythmiker durch und durch. Die Gesangsstimme steht immer im Offbeat zum Orchester: Das ist ja eigentlich Rap und Funk, was er da macht!"

Über zeitgenössisches Musiktheater: "Ich halte Oper für ein Genre, bei dem Identifikation ungemein wichtig ist. Ich glaube nicht an das Adorno' sche Postulat, dass man bei interessanter Neuer Musik nichts mehr fühlen darf. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind leider viele Musiktheaterwerke entstanden, bei denen es eigentlich keine Szene gebraucht hätte. Fantastische Musik zwar, aber ohne ein dramatisches Handlungsgerüst. Solche Musik gehört ins Konzert. In Bregenz war das Publikum teils sehr aufgewühlt nach der Oper - und so soll es sein!

Oper als intellektuelles Vergnügen, das ist eigentlich ein Widerspruch in sich. Oper ist gänzlich unintellektuell in dem, was sie kann. Sie ist primär sinnlich, und sie muss sich dies Direkte, Sinnliche wieder zurückerobern!" (Stefan Ender, DER STANDARD, 13.3.2015)