Einige Sterne der Sternhaufen "Arches" und "Quintuplet" im Zentrum der Milchstraße verfügen über Materiescheiben, die sie nach geltender Theorie eigentlich nicht haben dürften.

Foto: HST/Spitzer composite: NASA, ESA, D.Q.Wang (UMass), JPL, S. Stolovy (Spitzer Science Center)

Bonn - Die Bedingungen in jungen Sternhaufen sind der Entstehung von Planetensystemen eher unzuträglich, umso mehr, je größer und heißer die Sterne sind. In der unwirtlichen kosmischen Umgebung entsteht genug UV-Strahlung, um jene Materiescheiben rund um die Sterne, die als Geburtsstätt von Planeten gelten, binnen weniger hunderttausend Jahre verdampfen zu lassen - so lautete zumindest bisher die Annahme. Nun aber hat ein Forscherteam unter Federführung der Universität Bonn im Zentrum der Milchstraße zwei Haufen aus sehr großen und heißen Sternen beobachtet, von denen Dutzende jeweils über solche rotierenden Staub- und Gasscheiben verfügen. Die Wissenschafter rätseln, wie die rotierenden Scheiben diese widrigen Bedingungen überstehen können.

Beim Zentrum der Milchstraße handelt es sich um eine Art Kreißsaal: Dort entstehen aus Materiewolken besonders viele Sterne, die sich zu Haufen zusammenballen. "Quintuplet" und "Arches" heißen zwei dieser Sternengruppen. Beide Sternhaufen sind wenige Millionen Jahre jung und enthalten Sterne mit mehr als 100 Sonnenmassen und Oberflächentemperaturen von etwa 50 000 Grad Celsius. "Eigentlich sollte die enorme Strahlungsenergie dieser Riesen das umgebende Gas- und Staub-Material ihrer kleineren Nachbarn binnen einer Million Jahre verdampfen", sagt Andrea Stolte vom Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn.

Widerstandsfähige Scheiben deuten auf unbekannte Prozesse hin

Doch gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für Astronomie, dem Astronomischen Recheninstitut der Universität Heidelberg und US-Kollegen aus Los Angeles, Honolulu, Dearborn und Baltimore entdeckte die Wissenschafterin mehrere rotierende Staubscheiben, die die Sterne in "Quintuplet" und "Arches" umgeben. "In einer solch aggressiven Umgebung haben wir keine zirkumstellaren Scheiben erwartet, dennoch haben wir mehr als 20 Scheiben in jedem der beiden Haufen beobachtet", sagt Stolte. Diese überraschende Entdeckung widerspreche den gängigen Theorien und deute darauf hin, dass es dort zu unbekannten Prozessen kommt.

Mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO) in der chilenischen Atacamawüste und dem Hubble-Weltraumteleskop konnten die Wissenschafter das seltsame Phänomen beobachten. Im Bereich des sichtbaren Lichts verhindern dichte Staubansammlungen den Blick ins Zentrum der Milchstraße. Jedoch gelang dies den Forschern, indem sie mit den beiden Teleskopen die Infrarotstrahlung aus diesem Gebiet einfingen.

Zwei Theorien

Die Wissenschafter rätseln nun, wie es den rotierenden Scheiben gelingt, trotz des Höllenfeuers der Riesensterne in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zu existieren. Aus Sicht der Astronomen kommen zwei Möglichkeiten in Betracht: Entweder haben die kreiselnden Staub- und Gasscheiben wider Erwarten die Widerstandskraft, die dort herrschenden unwirtlichen Bedingungen für mehrere Millionen Jahre zu überstehen. Oder es gibt einen bislang unbeobachteten Mechanismus: In dem Maße, wie die Staub- und Gasscheiben durch die UV-Strahlung verdampfen, könnten enge Nachbarn Material in die Scheibe ihres kleineren Begleiters nachliefern.

Stolte hält letztere Theorie für die wahrscheinlichere: "Wir kennen noch nicht alle Prozesse, die in diesen dicht besiedelten Sternhaufen ablaufen, aber der in anderen jungen Gebieten häufig beobachtete Massenfluss zwischen Doppelsternen könnte hierbei eine Rolle spielen."

Damit rückt ein weiteres Phänomen in den Mittelpunkt, das in diesen Zonen der Milchstraße bislang für unmöglich gehalten wurde: Wenn dort trotz aggressivster Bedingungen Scheiben aus Staub und Gas vorkommen, könnten auch Voraussetzungen herrschen, in denen neue Planeten entstehen. (red, derStandard.at, 13.3.2015)