Der enge Tanz zweier Neutronensterne und ihre Verschmelzung erzeugt Gravitationswellen, die Wissenschafter auf der Erde feststellen könnten.

Illu.: NASA

Vier Schnappschüsse von der Fusion zweier Neutronen-Sterne. Von der Annäherung bis zur Verschmelzung vergehen nur wenige Millisekunden, in denen ungeheure Massen beschleunigt werden. Die Signale der dabei theoretisch entstehenden Gravitationswellen sind jetzt in Simulationen berechnet worden.

Illu.: Goethe-Universität Frankfurt am Main

Viele der von Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie vorhergesagten Effekte konnten mittlerweile in der realen Natur beobachtete werden. Weniger Glück hatten die Forscher bisher allerdings bei Gravitationswellen, die bei der Beschleunigung von Massen entstehen. Das liegt möglicherweise an den Grenzen des technisch Möglichen: Sie sind so schwach, dass sie im Rauschen der Messungen untergehen.

Doch Dank neuester Simulationen der Verschmelzung besonders massereicher Neutronen-Doppelstern-Systeme ist jetzt die Struktur der gesuchten Signale bekannt. Wie ein deutsch-japanisches Team Theoretischer Astrophysiker in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Physical Review D" berichtet, besitzen Gravitationswellen ein charakteristisches Spektrum, ähnlich den Spektrallinien von Atomen.

Erste indirekte Hinweise auf die Existenz von Gravitationswellen gibt es seit 1974, als der Doppelpulsar PSR B1913+16 im Sternbild Adler entdeckt wurde. Die beiden schnell umeinander kreisenden Neutronen-Sterne driften spiralförmig aufeinander zu, was Astrophysiker dadurch erklären, dass sie Gravitationsenergie abstrahlen. Russell A. Hulse und Joseph H. Taylor erhielten für diese Entdeckung 1993 den Nobelpreis für Physik.

Entdeckung in spätestens fün Jahren

Inzwischen gibt es mehrere großangelegte Experimente zur Detektion von Gravitationswellen: das US-amerikanische LIGO-Experiment, das europäische Virgo-Experiment und den japanischen KAGRA-Detektor. Fachleute rechnen damit, innerhalb der nächsten fünf Jahre Signale von Gravitationswellen aus fusionierenden Neutronen-Doppelstern-Systemen aufzuspüren.

"Diese Signale zu entdecken wird nicht einfach sein, weil sie eine extreme kleine Amplitude haben. Aber trotz dieser erschwerten Bedingungen ist es möglich, sie zu finden, wenn sie im Voraus bekannt sind", erklärt Luciano Rezzolla vom Institut für Theoretische Physik der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Gemeinsam mit einem japanischen Kollegen von der Universität Osaka hat er eine Reihe von Neutronen-Doppelstern-Systemen mithilfe von neuesten Simulationstechniken untersucht und herausgefunden, dass beim Verschmelzen der Sterne charakteristische Gravitationswellen-Spektren entstehen. "Diese Spektren entsprechend den elektromagnetischen Spektrallinien, die von Atomen oder Molekülen emittiert werden. Wir können daraus Informationen über die Eigenschaften der Sterne gewinnen", erklärt Rezzolla.

Stellarer Fingerabdruck

Wie die Astrophysiker in zwei inhaltlich zusammen gehörenden Publikationen in "Physical Review Letters" und in der aktuellen Ausgabe von "Physical Review D" zeigen, ist das Spektrum der Gravitationswellen wie ein Fingerabdruck der beiden Sterne. Lernt man, ihn zu interpretieren, weiß man, woraus die Sterne bestehen und kann ihre bisher noch unbekannte Zustandsgleichung aufstellen. Zustandsgleichungen beschreiben die thermodynamischen Eigenschaften von Systemen in Abhängigkeit von Größen wie Druck, Temperatur, Volumen oder Teilchenzahl. Dazu Rezzolla: "Das ist eine sehr aufregende Möglichkeit, denn wir könnten damit ein seit 40 Jahren ungelöstes Rätsel lösen: Woraus bestehen Neutronen-Sterne und was ist ihre stellare Struktur?"

"Wenn das Signal stark und damit der Fingerabdruck sehr deutlich wäre, würde sogar eine einzige Messung ausreichen", schätzt Rezzolla. "Die Aussichten, das Rätsel der Neutronensterne zu lösen, waren nie so gut. Schon jetzt sind die Gravitationswellen, die wir hoffentlich in einigen Jahren entdecken werden, von den entferntesten Enden des Universums zu uns unterwegs." (red, derStandard.at, 21.3.2015)