Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow (re.), Anfang Dezember 2014 zur Berichterstattung bei Wladimir Putin im Kreml. Damals waren bei einem Feuergefecht zwischen islamistischen Extremisten und Sicherheitskräften in der Republikshauptstadt Grosny 19 Menschen ums Leben gekommen, unter ihnen zehn Offiziere.

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Die Verhaftungswelle rollt nach dem Mord an dem russischen Oppositionsführer Boris Nemzow. Fünf Männer sitzen bereits in Untersuchungshaft. Laut der Nachrichtenagentur Rosbalt wurden in Tschetschenien zwei weitere Verdächtige festgenommen. Unter Berufung auf Ermittlerkreise berichtet Rosbalt, dass einer der Festgenommenen "Cousin eines hochrangigen Vertreters der tschetschenischen Sicherheitsorgane" sei. Offiziell wurde die Meldung nicht bestätigt.

Auch die Meldung, dass der Todesschütze inzwischen durch Expertisen identifiziert worden sei, basiert bisher nur auf einer Insiderinformation. Demnach soll es sich dabei um den geständigen Saur Dadajew handeln. Der hat unterdessen von seinem langjährigen Chef Ramsan Kadyrow eine positive Charakteristik bekommen: "Ich habe Saur als echten russischen Patrioten kennengelernt", der sich durch Tapferkeit ausgezeichnet habe und sein Leben für die Heimat geopfert hätte, lobte Kadyrow den ehemaligen Vizekommandeur des Sonderbataillons "Nord".

Kadyrow betonte, dass Dadajew vor der Erschießung Nemzows seinen Posten gekündigt habe. Sollte sich seine Teilhabe am Mord bestätigen, habe er ein schweres Verbrechen begangen, sagte das Tschetschenenoberhaupt und lieferte gleich eine mögliche Erklärung: "Er ist ein tief gläubiger Mensch und war wie alle Muslime erschüttert von den Aktionen Charlies und den Kommentaren, die den Druck der Karikaturen unterstützten." Auch aus dem Ermittlungskomitee sickerte durch, dass Dadajew als Tatmotiv angebliche islamfeindliche Äußerungen Nemzows genannt habe.

Zweifel an Islamistentheorie

Nemzows Vertrauter Ilja Jaschin zweifelt diese Version allerdings an: "Die Nonsens-Theorie der Ermittler über islamistische Motive für den Mord an Nemzow nutzt dem Kreml und nimmt Putin aus der Schusslinie", schrieb er. Er fürchte, dass die Vollstrecker angeklagt, die Hintermänner jedoch nicht gefasst würden.

Nach dem Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo hatte Nemzow seine Solidarität mit den getöteten Journalisten bekundet. Den Mord kritisierte er als Zeichen einer "mittelalterlichen islamistischen Inquisition". Im Gegensatz zu anderen Oppositionellen rief er aber nicht zum Nachdruck der Karikaturen auf. Nemzow war zudem nicht als notorischer Islamkritiker bekannt, somit sind die als Tatmotiv kolportierten "mehrfachen Beleidigungen" russischer Muslime unkorrekt.

Häufig kritisierte Nemzow stattdessen den Kreml und Kadyrow, Moskaus Statthalter in Tschetschenien. Zwischen Kadyrow und Nemzow herrschte seit langem scharfe Feindschaft. So forderte Ersterer vor der Präsidentenwahl 2012, Nemzow einzusperren, während Nemzow noch im Jänner Kadyrow "psychisch krank" nannte und zur Einweisung in eine Anstalt riet. Es sei schlimm, dass solche Männer auf verantwortungsvollen Posten säßen.

Im Kreml ist die Sichtweise auf Kadyrow naturgemäß eine andere. Dass der Präsident der Kaukasusrepublik allerdings nur einen Tag nach Bekanntwerden der angeblichen Verstrickungen seiner Garde in den Nemzow-Mord mit dem "Ehrenorden", einer hohen Auszeichnung für Erfolge im Beruf, geehrt wurde, wirft Fragen nach den Hintergründen dieses Timings auf. Zumal gleichzeitig der von Scotland Yard des Mordes an dem Ex-KGB-Agenten Alexander Litwinenko verdächtigte Duma-Abgeordnete Andrej Lugowoi den gleichen Orden erhielt.

Enthüllendes zur Krim

Auf die Außendarstellung gegenüber dem Westen legt Präsident Wladimir Putin allerdings ohnehin nur noch geringen Wert: In einem Dokumentations-Trailer zum Jahrestag des Krim-Anschlusses zeigte Russlands Staatsfernsehen einen martialischen Putin. So offen wie nie sprach dieser über die Beteiligung russischer Soldaten an dem Coup. Die Einheiten hätten schwere Maschinengewehre installiert, "um nicht viel reden zu müssen", wird der Kremlchef zitiert.

Noch brisanter ist Putins Aussage, dass die Krisensitzung nach dem Sturz des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch um sieben Uhr früh am 23. Februar geendet habe. "Und als wir auseinandergingen, sagte ich den Kollegen, dass wir mit der Arbeit zur Rückführung der Krim in den Bestand Russlands beginnen müssen", sagte er. Damit räumte Putin ein, dass die Entscheidung zur Annexion im Kreml vor Ausbruch der Unruhen auf der ukrainischen Halbinsel gefallen war. (André Ballin aus Moskau, DER STANDARD, 10.3.2015)