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Foto: APA/EPA/Emilio Naranjo

„Es ist einfacher, die Abwesenheit von Musik zu beklagen, als ihre Anwesenheit zu würdigen. Ist diese Anwesenheit erwiesen, kann man nur schweigen.“ Das lässt der Romancier Étienne Barilier in China am Klavier (2014) einen fiktiven Kritiker festhalten, nachdem er einer, auch in der Realität existierenden Pianistin begegnet ist.

Im wirklichen Leben heißt sie Yuja Wang und absolviert Auftritte, die etwas Unwirkliches hätten – wenn sie nicht dermaßen maßlos von natürlicher Musikalität durchströmt wären. Und das lässt sich in der Tat schwer umschreiben. Bei den größten Herausforderungen scheint sich Wang gerade am wohlsten zu fühlen, etwa als sie die wahnwitzige Version von Mozarts Alla turca von Arcadi Volodos im Wiener Konzerthaus als Zugabe spielte.

Ihre technische Perfektion ist nicht der springende Punkt, auch nicht die Leichtigkeit, mit der sie virtuose Aufgaben meistert. Sie erfüllt sie mit Sinn und Stimmigkeit. Wie sie etwa Liszts Version von Schuberts Gretchen am Spinnrade als weitere Zugabe nicht nur unvergleichlich kantabel phrasierte, sondern die psychologischen Facetten des Lieds verfolgte, zeigte eine Künstlerin, die noch da in die Tiefe geht, wo man es kaum vermuten würde.

Tiefe und Nachdenklichkeit

Das ist ihre vielleicht wichtigste Seite. Dementsprechend absolvierte sie nicht nur das pianistische Feuerwerk in Prokofjews 2. Klavierkonzert mit Lust, sondern betonte besonders dessen nachdenkliche Seiten: mit genau der richtigen Mischung aus Zögern und Schwung, die die Musiker als Agogik einüben, die bei Wang allerdings unmittelbar empfunden und gestaltet wirkt. Ja, es ist schwer, dies zu würdigen.

Und, ja, es hat auch ein Orchester gespielt – jenes der Tonhalle Zürich mit seinem frischen Chefdirigenten Lionel Bringuier, der Wang untadelig begleiten ließ. Unter dem Dirigat des erst 28-jährigen Franzosen, der das Orchester seit Anfang der Saison leitet, waren auch Mussorgskis Bilder einer Ausstellung in Ravels Orchesterfassung nahe an der Perfektion, allerdings eher im Bereich interpretatorischer Normalität angesiedelt. Das einleitende Helix von Esa-Pekka Salonen (2005) verharrte jedoch in pittoresker Bedeutungslosigkeit. Davon ist wirklich besser zu schweigen. (Daniel Ender, DER STANDARD, 9. 3. 2015)