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Maysles drehte 1955 etwa eine Dokumentation über das Leben in psychiatrischen Krankenhäusern der Sowjetunion.

Foto: Reuters/Seth Wenig

Wien / New York - "Ein Dollar am Tag", darauf lief 1966 die günstigste Variante hinaus, von Paul Brennan eine Bibel zu erwerben. Dieser Inbegriff eines Handlungsreisenden, den Albert Maysles mit seinem Film Salesman vorstellte, spielte geschickt mit den verschiedenen Bedürfnissen der Menschen. Für einen Dollar am Tag konnte man bei ihm zugleich eine Art metaphysischer Haushaltsversicherung, eine Bibliothek der Weltliteratur mit nur einem Band oder einfach ein Dekorationsstück für die Schrankwand erwerben. Die Verkaufsgespräche sind Studien des amerikanischen Alltags, und als solche wollte Maysles sie auch verstanden haben.

Denn Salesman ist einer der Höhepunkte des US-amerikanischen "Direct Cinema", das seit 1960 eine neue Unmittelbarkeit in das dokumentarische Arbeiten brachte. Leichtere Kameras, kleinere Teams, schnelleres Arbeiten machte Beobachtungen möglich, die es davor im Kino nicht gegeben hatte.

Albert Maysles begann als Kameramann, er arbeitete 1960 an Primary mit, gemeinsam mit Richard Leacock, der später ebenfalls als Regisseur erfolgreich war: Der Wahlkampf um die Nominierung des Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei in Wisconsin zeigte Politik (und den jungen John F. Kennedy) aus einer ungeahnten Nähe.

So ist heute auch ein Film wie Meet Marlon Brando (1966) undenkbar, den Mayles gemeinsam mit seinem Bruder David, mit dem er häufig zusammenarbeitete, machte: eine Hintergrundreportage über einen Star, der es sich leisten kann, seine Promotionaufgaben immer wieder zu unterlaufen.

"We mustn't believe propaganda", sagt Brando da an einer Stelle, und das war auch ein wichtiges Motiv für die international vernetzten Erneuerer des dokumentarischen Films seit den 1960er-Jahren: Klaus Wildenhahn in Deutschland wäre ohne die Maysles-Brüder oder ohne Richard Leacock oder D. A. Pennebaker nicht denkbar gewesen; das französische "cinéma verité" stand ebenfalls in engem, wenngleich nicht reibungsfreiem Austausch.

Albert Maysles wurde 1926 als Sohn jüdischer Einwanderer in Boston geboren. 1955 fuhr er nach einem Psychologiestudium mit einer 16-mm-Kamera in die Sowjetunion und filmte in einer psychiatrischen Anstalt. Damit hatte er seine Berufung gefunden.

Rolling Stones in Altamont

Im Umfeld des Produzenten Robert Drew fand er die Möglichkeiten, sich zu erproben, Mitte der 1960er war er bereits auf dem Höhepunkt seines Könnens. Von ihm stammen zwei der essenziellen Filme über die Popkultur dieser Jahre: Monterey Pop und vor allem Gimme Shelter über jene Tournee der Rolling Stones, die in dem Konzert in Altamont endete, bei dem der 18-jährige Afroamerikaner Meredith Hunter von einem Mitglied der Hells Angels erstochen wurde. Einer der Kameraleute von Maysles filmte den Vorfall.

Albert Maysles arbeitete bis ins hohe Alter, am Donnerstag ist er im Alter von 88 Jahren in New York gestorben. Er hinterlässt ein riesiges Lebenswerk, das von seinem Leitsatz zeugt: "Die Wirklichkeit ist mein Glaube und mein Schicksal." (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 9.3.2015)