Pörksen verortet einen Diskussionsinfarkt in der Demokratie.

Foto: Bernd Brundert

Standard: Herr Prof. Pörksen, Sie haben sich im "Spiegel", der "Zeit" und der "Süddeutschen" unter kräftigen Titeln wie "Der Hass der Bescheidwisser", "Volle Ladung Hass" und "Die Wutmaschine" mit dem Phänomen der Verschwörungstheoretiker im Internet beschäftigt, die den "Mainstream-Journalismus" bezichtigen, gekauft und gelenkt zu sein. Woher dieser Vertrauensverlust? War der schon immer da und bricht jetzt durch die technischen Möglichkeiten des Internets voll hervor? Oder gibt es eine neue Bewusstseinslage?

Pörksen: Dieser Vertrauensverlust hat verschiedene Facetten. Zum einen sinkt das Ansehen von Journalisten seit Jahren kontinuierlich - dies in vielen westlichen Ländern. Zum anderen aber macht sich die schleichende Medienverdrossenheit an gerade aktuellen Reizthemen fest - denken Sie nur an die Sarrazin-Debatte, die Auseinandersetzung um Christian Wulff, den Ukraine-Konflikt und die Russland-Berichterstattung. Und schließlich gibt es die Fraktion der sich zunehmend radikalisierenden Medienkritiker, die pauschales Journalistenbashing betreiben. Journalisten gelten dann wahlweise als korrupt, gekauft, von mächtigen Lobbyorganisationen gesteuert, skandalversessen oder manipulativ.

Standard: Wie beurteilen Sie die Wirkung dieser zahllosen Verschwörungsseiten und der "Angstindustrie" (FAZ über einschlägige Verlage oder Websites wie "Deutsche Wirtschaftsnachrichten")? Eine existenzielle Bedrohung für den recherchierenden, abwägenden, einordnenden, faktenbasierten Journalismus oder eine Freak-Show, die man mehr oder minder ignorieren kann?

Pörksen: Nein, ignorieren sollte man auch die Thesen der Verschwörungstheoretiker nicht, denn ihre Annahmen, so wenig überzeugend sie einem auch scheinen mögen, sind ein Symptom. Sie zeigen eine verunsicherte, in ihren Realitätsfundamenten erschütterte Gesellschaft und sind Indiz für eine Sehnsucht nach Deutungssicherheit in Krisenzeiten, die der Verschwörungstheoretiker mit seinen Weltformeln des Übels und seinen plakativen Schwarz-Weiß-Zeichnungen scheinbar befriedigt. Und sie machen deutlich, dass auch der etablierte Journalismus selbst transparenter werden und auch eigene Fehler, die natürlich vorkommen, benennen muss.

Angstmacher und Verschwörungstheoretiker leben von einem diffus-bedrohlichen Gefühl von Intransparenz und Ungewissheit - und da muss ein aufklärerischer Journalismus unbedingt gegenhalten.

Standard: Was muss der traditionelle Journalismus tun, um die Deutungshoheit zu behalten?

Pörksen: Ich glaube, der traditionelle Journalismus hat seine unbedingt gültige Deutungshoheit im digitalen Zeitalter, indem jeder zum Sender geworden ist, bereits verloren - und hatte sie vielleicht nie in dieser unumschränkten Absolutheit.

Nötig ist in diesen Zeiten, dass Journalisten die Aufklärung über ihre eigene Branche und die Gesetze der Medienwelt als eine Art Zweitjob begreifen - auch wenn das nicht immer leichtfällt, auch wenn es manchmal nervt, zu viel Zeit kostet, eine Zusatzbelastung darstellt.

Journalisten müssen heute mit ihrem Publikum in anderer Intensität in einen Dialog treten, sich nahbar zeigen, empfänglich für berechtigte Kritik und tatsächliche Fehler, die es natürlich auch gibt. Natürlich, wir beobachten eine sich ziemlich katastrophal zuspitzende Medienverdrossenheit. Aber man muss auch davor warnen, dass die aktuelle Wutwelle auf der Seite der Medienmacher eine nicht minder gefährliche Publikumsverdrossenheit auslöst.

Journalisten und ihr Publikum müssen, gerade weil es vielen Zeitungen ökonomisch nicht gutgeht, einen neuen Pakt schließen, sich wechselseitig um ein Klima der Solidarität und der Wertschätzung bemühen. Auch wenn man natürlich mit dem wirklich hartgesottenen Verschwörungstheoretiker nicht wirklich reden kann.

Standard: Diese zahlreichen Websites und Blogs verbreiten ihre eigene "Wahrheit" und sind nicht ganz erfolglos damit. Wie gefährlich sind diese unkontrollierten Parallelwelten im Netz für die Demokratie und die offene Gesellschaft?

Pörksen: Das größte Problem ist, dass Verschwörungstheorien nicht diskutiert werden können. Sie sind, wie der Philosoph Karl Popper gesagt hätte, selbstimmunisierend, gegen ihre Widerlegung geschützt. Auch die Nichtbeweisbarkeit einer Verschwörung ist doch eigentlich ein Beweis - zeigt sich hier gerade nicht die geheimnisvolle Raffinesse der Verschwörer, die geschickt alle Spuren verwischen?

Meine These lautet: Verschwörungstheorien sind das kommunikative Symbol eines Diskursinfarktes, eines entfesselten Bestätigungsdenkens von unbedingt Wahrheitsgläubigen, die irgendwann nur noch aufeinander einbrüllen. Und das Netz, dieses wunderbar-plastische Medium, lässt sich leider eben auch benützen, um sich in eine Wirklichkeitsblase hineinzugoogeln, in der eine scheinbare Mehrheit sich permanent die eigene Meinung bestätigt. Diese Möglichkeit zur Selbstabschottung ist tatsächlich eine Gefahr. Was dagegen hilft? So viel und so oft mit denen reden und streiten, die noch irgendwie erreichbar sind. (DER STANDARD, 7.3.2015)