"Tableau noir" ist das empathische Porträt einer Bergschule im Schweizer Kanton Neuenburg, die mittlerweile geschlossen wurde.

Foto: Polyfilm

Wien - Es ist ein Blick zurück in eine andere Zeit, auch wenn diese erst vor sieben Jahren zu Ende gegangen ist. Als die Schule von Derrière-Pertuis, gelegen auf über tausend Metern in einem kleinen Hochtal in der französischen Schweiz, nach einer Abstimmung geschlossen wurde, verlor das Bergdorf im Jura des Kantons Neuenburg mehr als nur eine Bildungseinrichtung für seine Kinder.

Die Schule entsprach offensichtlich nicht mehr der Anforderung, eine kostengünstige Ausbildungsstätte zu sein, in der effizient nach Plan unterrichtet wird. Gilbert Hirschi, der liebenswürdige und zugleich streitbare Leiter der Bergschule, hatte über vier Jahrzehnte hinweg seinen eigenen unkonventionellen Lehrplan für die sechs- bis zwölfjährigen Mädchen und Buben entwickelt, die sich hier ein Klassenzimmer teilten.

Aus seiner Sympathie für diese von der Schließung bedrohte Schule und ihren eigenwilligen Leiter macht der 72-jährige Schweizer Dokumentarfilmer Yves Yersin in Tableau noir - Eine Zwergschule in den Bergen nie einen Hehl. Eine solche Distanz wäre auch nicht glaubwürdig, denn Yersin ist von der ersten Minute des Films an mittendrin im Geschehen, wenn ein neues Schuljahr beginnt - das letzte, wie sich herausstellen wird - und die Wahl des Klassensprechers ansteht.

Der Applaus des Verlierers

Wenn sich die Kamera dabei nicht dem Strahlen der Siegerin, sondern dem respektvollen Applaus des Verlierers zuwendet, steht dies beispielhaft für das Interesse dieses Films: für ein Lernen, das aus dem Miteinander resultiert.

Was man hier in der Folge zu sehen bekommt, ist mehr als erstaunlich. Da wird im Wald geschnitzt, beim Kochen Deutschunterricht erteilt und beobachtet, was mit einem in Essig eingelegten Ei passiert. Es wird gesungen, getanzt, gestrickt, getöpfert, gerechnet und manchmal auch geweint. Im Sommer werden die Sonnentage gezählt, im Winter die Langlaufskier aus dem Schuppen geholt.

Dass Yersin dabei kein dogmatischer Anhänger eines Cinéma Vérité ist, zeigt sich etwa dann, wenn sich das Schlittschuhlaufen in eine slapstickartige Sturzserie verwandelt oder die ersten Schneeflocken in Zeitlupe vom Himmel fallen. In solchen Momenten ist nicht nur Yersins Empathie für seine jungen Protagonisten am stärksten spürbar, sondern auch die Bedrohung durch die wiederholt angedeutete Schließung der Schule.

Die schwarze Tafel, auf der normalerweise das geschrieben steht, was für die Schüler zu zählen hat, bekommt in diesem Film die Bedeutung einer leeren Fläche, die man selbst beschreiben kann - so wie auch Kinder zu Beginn unbeschriebene Blätter sind. Unterteilt in mehrere Kapitel, deren Überschriften jeweils mit Kreide auf einer solchen Tafel festgehalten sind und deren Bedeutung sich erst langsam erschließt, erzählt Tableau noir vom Lernen als Prozess. Die Binsenweisheit, dass man nicht für die Schule lerne, sondern fürs Leben, wird hier nachdrücklich als Tatsache veranschaulicht.

Auch Lehrer machen Fehler

Einmal meint der am Ende sichtlich gerührte Lehrer, der für seine Schüler stets ein väterlicher Freund war, er habe einen Tafelschwamm, weil auch er manchmal etwas falsch mache. Auch davon erzählt dieser Film: Aus Fehlern kann man tatsächlich lernen, und man büßt nicht an Autorität ein, wenn man sich solidarisch erklärt. (Michael Pekler, DER STANDARD, 5.3.2015)