Foto: Julia Grillmayr
Foto: Julia Grillmayr
Foto: Julia Grillmayr

Im Maagdenhuis in Amsterdam herrscht reges Treiben. Normalerweise spazieren unter der großen Palme im hellen, schönen Atrium nur einige wenige Uni-Angestellte zu ihren Arbeitsplätzen. Nun findet man dort einen Sesselkreis. Drumherum: Transparente, die eine "Neue Universität" fordern; eine solidarische Küche, Tische, auf denen Flyer und Plakate liegen, und Studierende an ihren Macbooks, die Manifeste auf So cial-Media-Kanälen verbreiten.

Das Maagdenhuis ist besetzt. Vor einer Woche zogen Studierende ein und machten das Gebäude der Uni-Administration zum Zentrum ihres Protests. Neben der Kritik an der Kapitalisierung der Uni und der Abwertung der Geisteswissenschaften als nicht gewinnbringende Fächer, ist die Demokratisierung das zentrale Anliegen der "De Nieuwe Universiteit" ("Die Neue Universität").

Die Protestbewegung fordert, dass das Rektorat und die gesamte Uni-Leitung demokratisch gewählt werden. Im November letzten Jahres wurde bekannt, dass die geisteswissenschaftliche Fakultät der Universität Amsterdam (UvA) aus Kostengründen umstrukturiert wird. Das "Profiel 2016" der Unileitung sieht vor, das gesamte Studienangebot in fünf Bachelor-Programme oder ein Liberal-Arts-Programm zusammenzulegen.

Räumung und Verhaftungen

Aus Protest gegen diese Pläne formierte sich Ende 2014 die Bewegung Humanities Rally. Unabhängig davon, aber mit derselben Forderung nach einer nicht nur kommerziellen Bewertung der akademischen Leistung, besetzten Studierende und eine Lehrkraft am 13. Februar das Bungehuis, das Gebäude der Geisteswissenschaften, und riefen "De Nieuwe Universiteit" aus.

Elf Tage wurde besetzt, dann räumte die Polizei. Über 40 Personen wurden festgenommen. Viele von ihnen mussten die Nacht im Gefängnis verbringen, erzählt ein Aktivist. Bestürzt über dieses Vorgehen und aus Solidarität mit den Verhafteten, zogen die restlichen Besetzer mit Bratpfannen um das Gefängnis und machten Lärm. Kurz darauf, am 25. Februar, besetzte De Nieuwe Universiteit das Maagdenhuis.

Die "Neue Universität" hat von basisdemokratischem Wink-Applaus bis hin zur kooperativen Küche alle Attribute einer Studentenbesetzung. Gleichzeitig ist sie straff und effizient organisiert. Ein Aktivist im zwecks Berichterstattung über De Nieuwe Universiteit kurzerhand bereitgestellten Medienraum ist elegant angezogen und tritt professionell auf.

Immer wieder blickt er auf die Armbanduhr: Er hat viel zu tun. Im Bungehuis sei die Besetzung besser zu organisieren gewesen, erzählt er. Das Gebäude ist riesig und bietet viel Platz und Ressourcen: "Wir hatten einen Generalschlüssel, konnten so alle Räume nutzen und über Walkie-Talkies mit der Uni-Security kommunizieren."

Prestigeträchtiger Ort

Das Maagdenhuis ist dafür prestigeträchtiger – die Besetzung bekommt viel Aufmerksamkeit. Das Gebäude wurde auch bei den Studentenrevolten 1969 besetzt. "Es ist das Herz der Uni", sagt der Aktivist. Auch störe man hier, wo nur administrative Büros seien, niemanden. Die Neue Universität will nicht blockieren, sondern Druck auf die Politik machen. Die wahren Besetzer seien die Uni-Leiter, lässt die Bewegung über ihre Social-Media-Kanäle ausrichten: "Sie besetzen einen demokratischen Raum, der der unsrige ist."

Aktuell arbeiten die Aktivisten weiter an den Forderungen und bilden nationale Gruppen. Es gibt sie auch in Utrecht, Groningen, Delft, Nijmengen und Leiden. Die Uni-Leitung unterstützt die Besetzung zwar nicht, erkennt aber an, dass es Probleme gibt.

Als "Durchbruch" der Bewegung bezeichneten niederländische Medien das Angebot der Uni-Leitung, ein Student könne "beratend" am Gremium der Uni-Leitung teilhaben. Auch werde das "Profiel 2016" aufgeschoben. De Nieuwe Universiteit gab sich damit nicht zufrieden. Um die Besetzung freiwillig aufzugeben, müsse ihnen die Uni-Leitung so weit entgegenkommen, die demokratische Wahl des Rektors einzusetzen. Laut Studierendenvertretung, die mit der Uni-Leitung verhandelt, sehe es für diese Forderung gut aus.

Im Maagdenhuis lässt es sich gut aushalten. Neben Vorträgen und Workshops über politischen Protest gibt es Konzerte. In einem Kinosaal werden Filme gezeigt. Morgens gibt es einen Yogakurs. Das Dach ist Raucherbereich und in der Nacht Aussichtsplattform: "Es passt immer einer auf, ob die Polizei kommt", sagt der Aktivist. Untertags gehen mehrere hundert Menschen ein und aus, übernachten würden bis zu 150 Personen.

Unterstützung erhielten die Besetzer von der Sozialdemokratischen Partei, die 50 Schlafsäcke vorbeibrachte; die Arbeitergewerkschaft brachte Obst und Gemüse. Auch online gibt es symbolische Unterstützung: Eine Onlinepetition zählt bereits über 5000 Unterschriften; darunter Noam Chomsky, Judith Butler und Jean-Luc Nancy.

Bei der Organisation hätten ihnen Hausbesetzer Tipps gegeben: Es werden Listen geführt, um zu wissen, wer über Nacht im Gebäude ist. Jeder hat eine Nummer, unter der Gegenstände in der Garderobe verwaltet werden – damit nichts verlorengeht, falls geräumt wird. Und noch eine zweite Nummer müssen sich alle merken: Der Aktivist zieht sein Hosenbein hoch; auf seinem Unterschenkel steht die Telefonnummer von einem der drei Anwälte der Bewegung. Er sieht auf seine Armbanduhr und sagt, er müsse zurück in den Medienraum.

Als sich am Wochenende zahlreiche Universitätsangestellte in den Sesselkreis setzten, um mit den Studierenden die Forderungen der Bewegung zu diskutieren, geschah dies auf Englisch.

Nicht nur, weil viele Studierende und Lehrerende einen internationalen Hintergrund haben, sondern auch, weil es um Probleme geht, die ganz Europa betreffen, wie ein Uni-Angestellter in der Versammlung betonte. (Julia Grillmayr, DER STANDARD, 5.3.2015)