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Nach oben gibt es nichts zu holen, nach unten auch nicht.

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STANDARD: "Wenn Griechenland ein Unternehmen wäre, müsste man es liquidieren", sagten Sie einst. Ist diese Aussage noch aktuell?

Max Otte: Ich wurde in dem Interview nicht richtig zitiert. Im Falle einer Insolvenz kann man ein Unternehmen entweder komplett liquidieren oder einen Vergleich mit den Gläubigern vereinbaren, sodass es weiterarbeiten kann. Natürlich kann man Staaten nicht auflösen, sie sind souveräne Einheiten, mit denen man einen Vergleich schließen müsste. Aber es stimmt schon: Griechenland ist im Euro weder trag- noch lebensfähig.

STANDARD: Soll man Griechenland also die Schulden erlassen?

Otte: Nicht gänzlich, aber zum Großteil. Zur Erinnerung: Auch Deutschland ging es einst finanziell so schlecht, dass es international entschuldet werden musste. 1953 unterzeichneten zahlreiche Länder das Londoner Schuldenabkommen – darunter auch Griechenland.

STANDARD: Griechenland hatte es nicht eilig mit dem neuerlichen Hilfsgesuch und ließ Frist um Frist verstreichen. Ein dreistes Spiel mit den Europartnern?

Otte: Die Strategie ist augenscheinlich: Griechenland pokert hoch. Man hat das Mandat der Bevölkerung, vielen vieles versprochen, zwischendurch immer wieder auf die Deutschen hingehauen und Schuldige gesucht. Offensichtlich ist aber – und das ist entscheidend –, dass Regierungschef Alexis Tsipras Griechenland stets im Euro halten wollte. Damit ist er angreifbar. Die griechische Regierung betreibt ihr Spiel, die Hinauszögerungstaktik, bereits zum vierten oder fünften Mal. Die Geduld der Eurogeber wird irgendwann zu Ende sein. Anstatt so weiterzumachen wie bisher, sollten nun sie die Einsätze erhöhen.

STANDARD: Heißt konkret?

Otte: Die Europartner sollen härter pokern, mit stärkeren Forderungen in die Verhandlungen gehen und Fristen, genauso wie es die Griechen immer wieder getan haben, verstreichen lassen.

STANDARD: Ist es nicht eine Zumutung, wenn die griechische Regierung ohne konkretes Konzept um Hilfe bittet?

Otte: In gewisser Hinsicht sympathisiere ich durchaus mit Tsipras. Die Politik der letzten vier Jahre war verfehlt – der Regierung in Athen wurde Geld geliehen, mit dem sie weiterhin ihre Banken und Gläubiger bediente. Ein Fehler von Anfang an. Vernünftig wäre ein Schuldenerlass samt "Grexit" gewesen. Nur so hätte das Land eine Chance. De facto haben wir dem Land bislang wesentlich mehr geliehen, als eine Komplettlösung am Anfang gekostet hätte. Heute liegen wir bei 240 Milliarden Euro, meinen Berechnungen nach hätte ein ursprüngliches Programm, ein sauberer Vergleich, etwa 150 Milliarden gekostet. Die, die das verbockt haben – dazu zählen auch die Banken –, wären miteinbezogen gewesen.

STANDARD: Wann wäre es vernünftig gewesen, aus dem Euro zu gehen?

Otte: Im Mai 2010. Damals wurde Angela Merkel bei der EZB-Sitzung über den Tisch gezogen. Schäuble war krank und auch sonst niemand da, der lautstark aufgestanden wäre. An diesem Tag wurde der Grundstein für die Schuldenunion gelegt.

STANDARD: Nun verspricht Tsipras, durch entsprechende Reformen sieben Milliarden einzusparen. Unter anderem durch Bürokratieabbau und Bekämpfung von Korruption und Steuerflucht oder durch Privatisierungen. Wie realistisch ist das?

Otte: Mit einem Wort: unrealistisch. Kann man Griechenland sanieren, indem man den öffentlichen Rundfunk abschafft? Das war eine der paradoxen Forderungen, die gestellt wurden. Griechenland wird kaputtsaniert. Gespart wird bei dem, der sich nicht wehren kann. Die Leidtragenden sind einmal mehr die Mittelschicht. Nach unten ist nichts zu holen, und die da oben haben Sonderprivilegien. Würde Tsipras es schaffen, eine funktionierende Verwaltung durchzusetzen und dass die Superreichen besteuert werden – deren Privilegien sogar in der Verfassung festgehalten sind –, wenn er also ein faires Steuersystem schafft und es schafft, die griechische Hochfinanz und die Elite heranzuziehen, was ich aber nicht glaube, wäre er auf dem Weg zu einer vernünftigen Verwaltung.

STANDARD: Gerade erst wurden die Voraussetzungen für ein weiteres Hilfspaket geschaffen, da ist schon ein neues mit 20 Milliarden Euro ab Juli im Gespräch.

Otte: Wie schnell die Reformen umgesetzt werden, ist nicht das Entscheidende. Entscheidend ist die Qualität der Maßnahmen: faires Steuersystem, funktionierende Verwaltung. Bislang hat man gespart, indem man der Mittelschicht, die leicht und schnell erpressbar ist, neue Steuern auferlegt hat. Fragwürdig sind zudem einige der ins Auge gefassten Privatisierungen. Wenn Staat und Verwaltung sich auf eine neue Qualität hinbewegten, wäre mir die Zahl der Beamten erst einmal egal. Der Abbau der Staatsdiener dauert, so etwas braucht Zeit.

STANDARD: In den letzten Monaten haben griechische Bürger ihre Konten massiv geplündert und verstecken ihr Geld lieber unter der Matratze, als es auf der Bank zu lassen. Wie sieht es mit den Superreichen aus, haben diese ihr Geld bereits ins Ausland transferiert?

Otte: Deren Geld ist schon sehr lange im Ausland. Superreichtum fängt irgendwo im Bereich von 400 bis 500 Millionen an. Es bildet sich ein neuer Adel auf der Welt, der jenseits von Recht und Gesetz steht, weil sie in ihren Stiftungen veranlagen und weil sie nicht zu belangen sind, indem sie sich selber nicht mehr die Finger schmutzig machen.

STANDARD: Das gilt auch für Griechenland?

Otte: Das gilt besonders für Griechenland, aber auch für Österreich oder Deutschland – natürlich in viel geringerem Maße. Ich zitiere Hans-Jürgen Krysmanski, Professor für Soziologie: Im Durchschnitt haben die reichsten 0,1 Prozent der Westeuropäer in den vergangenen 15 Jahren ihr Vermögen schätzungsweise verdreifacht. Diese Entwicklung ist in Griechenland schon sehr weit fortgeschritten.

STANDARD: Sollte Griechenland aus dem Euro austreten, müsste das Land wieder eigenes Geld drucken. Wie sähe das in der Praxis aus?

Otte: Das Gelddrucken ist das geringste Problem. In der Praxis wäre eine Umstellung in der Buchhaltung der Unternehmen wenig kompliziert, weil alles bereits IT-integriert. Der Staat kann relativ schnell umstellen. Auch die Parallelidee, dass man zwei Währungen hat – eine für den internationalen, eine für den inländischen Zahlungsverkehr –, ist nichts Verkehrtes. Der frühere Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, hatte diese Idee ins Gespräch gebracht. Technisch ist das also alles machbar.

STANDARD: Macht ein "Grexit" zum jetzigen Zeitpunkt noch Sinn?

Otte: Natürlich. Griechenland geht es nach wie vor sehr, sehr schlecht. Natürlich wäre es besser gewesen, gleich am Anfang einen sauberen Vergleich zu schließen: Schuldenschnitt, "Grexit", dann Stützung oder Unterstützung der griechischen Wirtschaft – und nicht der Gläubiger, wohlgemerkt. Es hätte uns vielleicht 150 Milliarden gekostet, und wir hätten heute dieses Problem nicht mehr. So haben wir bis zum jetzigen Zeitpunkt sehr viel mehr Geld investiert, die Hilfsprogramme haben nichts gebracht, und wenn überhaupt, dann Unfrieden in Europa. Die Gläubiger, die Banken und die Superreichen haben profitiert. (Sigrid Schamall, DER STANDARD, 2.3.2015)