London - Jüngst diskutierte Labour-Chef Edward Miliband mit Hinterbänklern seiner Fraktion. Das eine oder andere Anliegen der Parteilinken schien ihm einzuleuchten. Sie sollten doch mit seinem Vertrauten Jon Cruddas sprechen, riet er den Abgeordneten, dieser schreibe schließlich noch am Wahlprogramm. "Ich traute meinen Ohren nicht", erinnert sich ein Teilnehmer. "So kurz vor der Wahl ändern wir noch Ideen für die nächste Legislaturperiode? Es muss schlimmer um uns stehen,als ich dachte."

Zehn Wochen bleiben noch bis zur Unterhauswahl am 7. Mai. Die konservativ-liberale Koalition von Premier David Cameron hat sich in den vergangenen fünf Jahren wenige Meriten verdient. Der Thinktank King's Fund bezeichnet die Gesundheitsreform als Milliardenverschwendung. In der Europapolitik lässt sich Cameron von der EU-feindlichen Ukip immer weiter in die Isolation treiben. Während der Spitzensteuersatz gesenkt wurde, müssen Millionen Geringverdiener per Mehrwertsteuer zusätzlich zum Haushalt beitragen. Das robuste Wachstum von zuletzt 2,4 Prozent hat den meisten Arbeitnehmern noch kein höheres Einkommen gebracht.

Ein gefundenes Fressen für die Opposition. Doch Labour liegt in den Umfragen nur gleichauf mit den Konservativen, gelegentlich hinter ihnen. Aus dieser Position hat in den letzten Jahrzehnten keine Oppositionspartei den Sprung in die Regierung geschafft.

Miliband sucht nach seinem Format

Die Tories schlagen Kapital aus dem in Umfragen immer wieder geäußerten Eindruck der Wählerschaft, Cameron und sein Finanzminister George Osborne hätten in der Wirtschaftspolitik bessere Ideen. Zudem gilt der Herausforderer im Vergleich mit dem Amtsinhaber als unterlegen. "Die Leute können sich Miliband nicht als Premierminister vorstellen", glauben selbst viele Parteifreunde.

Skepsis schlägt Labour vor allem aus der Wirtschaft entgegen. Neulich wurde Schattenfinanzminister Edward Balls in der BBC gefragt, welche Wirtschaftskapitäne die Sozialdemokraten unterstützen würden. "Bill, Bill", stammelte Balls, "leider fällt mir gerade der Nachname nicht ein" . "Also irgendjemand (somebody), der Bill heißt", höhnte erst die Journalistin und tags darauf der Premierminister. "Bill Somebody", sagte David Cameron und machte sich die vielseitige englische Sprache zunutze: Das sei gar keine Person, sondern Labours Politik - "jemand anderen zahlen lassen".

Mit einem traditionellen Labour-Thema, dem Nationalen Gesundheitssystem NHS, kann die alte Arbeiterpartei genau dort keine Punkte machen, wo sie es am nötigsten hätte. In Schottland, wo die Edinburgher Regionalregierung das NHS verantwortet, sagen immer neue Umfragen einen Erdrutschsieg der Nationalpartei SNP voraus. Deren Mandatszahl im neuen Unterhaus könnte von derzeit sechs auf 30 oder 40 wachsen und im Fall eines Wahlsieges stabile Mehrheiten verhindern. Doch Miliband kann sich trösten: Auch die Konservativen werden Mandate verlieren - an die Ukip. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 27.2.2015)