Seltene Krankeiten sind gar nicht so selten. Die medizinische Spurensuche dauert allerdings oft ganz schön lange.

Foto: Heribert Corn

Es war ein ganz normaler Sehtest, der am Beginn der medizinischen Detektivarbeit stand: Vor drei Jahren geht Denise H. mit ihrer Tochter zum Augenarzt, um dem Mädchen eine Brille verschreiben zu lassen. Der Mediziner stellt allerdings nicht nur eine Sehschwäche, sondern auch radspeichenförmige Einlagerungen in der Hornhaut der Zwölfjährigen fest. Er soll dabei sofort an Morbus Fabry gedacht haben, eine äußerst seltene Erbkrankheit, die den Stoffwechsel betrifft und durch die sämtliche Organe angegriffen werden können.

Das Mädchen wird an die Innsbrucker Universitätsklinik überwiesen, doch die Diagnose bleibt zunächst unklar. Ein Team aus einem Augenarzt, einer Kinderärztin, einem Nierenspezialisten und einem Humangenetiker beginnt, einen Stammbaum der Familie zu erstellen und medizinische Beschwerden sämtlicher Verwandter zu untersuchen: Eine Tante hat ständig Kopfschmerzen, eine Schwester leidet an einer seltsamen Hitzeunverträglichkeit, der Großvater war an einer unklaren Nierenschwäche gestorben.

Schlussendlich bestätigt sich der Verdacht des Augenarztes: Schon seit mehreren Generationen wird der ungewöhnliche Morbus in der Tiroler Familie vererbt.

Nischenkrankheiten sind meist erblich

Sogenannte seltene Krankheiten sind allerdings gar nicht so selten: Jeder 20. Österreicher ist betroffen, also hierzulande rund 400.000 Personen. Von einer seltenen Erkrankungen spricht man, wenn weniger als einer von 2.000 Menschen daran leiden. Da es aber zwischen 6.000 und 8.000 solcher unüblicher Erkrankungen gibt, ist der betroffene Personenkreis eigentlich relativ groß. Rund 80 Prozent der Nischenkrankheiten sind darüber hinaus erblich.

Auf Bestellung aus Brüssel hat das Gesundheitsministerium nun einen "Nationalen Aktionsplan für seltene Erkrankungen" erarbeitet, der kurz vor der Umsetzung stehe. "Es ist mir ein großes Anliegen, die Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen nachhaltig zu verbessern", sagt Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ). Es soll eine intensivere Zusammenarbeit der spezialisierten Zentren gefördert werden und dadurch zu einer Verbesserung der Diagnostik, der Therapie und der Versorgung kommen.

Solidaritätsmarsch angesagt

Derzeit klaffen bei seltenen Erkrankungen der Zeitpunkt des Auftretens erster Symptome und der einer verlässlichen Abklärung weit auseinander. Die Latenzzeit bis zur richtigen Diagnose beträgt im Durchschnitt drei Jahre. Vereine von Betroffenen fordern deshalb seit langem mehr Geld für Forschung und eine Anerkennung von Nischenkrankheiten im österreichischen Gesundheitswesen. Am kommenden Samstag, dem internationalen Tag seltener Erkrankungen, wird in Wien ein Solidaritätsmarsch der Allianz Pro Rare Austria stattfinden.

Der Fall des Tiroler Mädchens und seiner Familie ist aus mehreren Gründen besonders: Erstens konnte die Diagnose relativ rasch erstellt werden, und zweitens - und vielleicht noch viel wichtiger - ist Morbus Fabry behandelbar. "Nur für rund zehn Prozent der seltenen Erkrankungen gibt es derzeit Therapien", sagt Daniela Karall, Oberärztin an der Innsbrucker Universitätsklinik für Pädiatrie.

Pharmaindustrie entdeckt Nischen

Das liegt auch daran, dass sich die Pharmaindustrie lange Zeit kaum für Nischenkrankheiten interessierte. Die Aussicht auf Gewinn erschien zu gering. Manche Pharmaunternehmen entdecken den Markt allerdings langsam für sich, einige Biotechnologiekonzerne spezialisieren sich inzwischen sogar auf die Entwicklung solcher Arzneien - sie haben erkannt: Man kann damit zwar nur selten, dafür auf einen Schlag sehr viel Geld verdienen.

Die Mitglieder der Tiroler Familie mit Morbus Fabry bekommen nun alle 14 Tage eine Enzymersatztherapie, die Österreichs Krankenkassen jährlich pro Kopf rund eine halbe Million Euro kostet. "Die Preisfestlegung hat die Pharmaindustrie in der Hand. In wirtschaftsschwächeren Regionen wäre die Therapie deshalb wesentlich günstiger", sagt Karall.

"Leben zurück"

Für die Familie lohnt sich die Behandlung jedenfalls: "Seit über 20 Jahren weiß ich, dass mit meinem Körper etwas nicht stimmt. Ich hatte Schmerzen, Schwindelanfälle, war ständig müde, und niemand konnte mir helfen. Durch die Diagnose habe ich mein Leben zurückbekommen", sagt eine der Tanten des Mädchens. (Katharina Mittelstaedt, derStandard.at, 27.2.2015)