Der unverschämte Griff des Ikarus nach der Sonne verlief tödlich: Bei Roger Hiorns hat er nach dem Sturz allerdings noch Zeit zum Grübeln - womöglich über die Sinnhaftigkeit heutiger Kriegstechnologien.

Foto: Joe Clark

Wien - Gefangene oder zumindest Sklaven der Seltenen Erden - das sind wir. So wie wir Sklaven unserer Smartphones sind, sagt Boris Ondreicka, Kurator der Ausstellung Rare Earth. Das klingt ziemlich dramatisch. Aber wir 24-7-Online-Junkies können unsere aufgewühlten Seelen damit trösten, dass die echten Sklaven andere sind. Nämlich jene, die die Metalle für die Platinen in unseren heiligen Elektroschätzen in 12- Stunden-Schwerstarbeitsschichten abbauen, etwa in Bolivien, im Kongo oder in China - für Hungerlöhne: Kupfer für die Leitungen, Gold für den Mikroprozessor, Tantal für die Kondensatoren, Zinn für die Lötstellen oder Wolfram für den Vibrationsalarm. Neben diesen Metallen finden sich aber auch jene der Seltenen Erden - 17 an der Zahl, darunter etwa Neodym oder Yttrium - in den Technologien unserer Zeit. Europium wird etwa in Röhren- und Plasmabildschirmen benötigt, Neodym für die Herstellung von Magneten, einige davon verwendet man als Leuchtmittel in Plasma- und LCD-Bildschirmen.

Manche gehen beim Abbau der Rohstoffe sogar drauf. Sterben an Staublungen oder Schlimmerem. Oft werden die Metalle der Seltenen Erden mit Säuren aus den Erzen gelöst. Zurück bleibt vergifteter Schlamm. Mancher davon radioaktiv. Was das in Ländern mit mangelhaften Umweltschutzbestimmungen für das Grundwasser heißt, kann man sich ausmalen.

Wenn es um die seltenen Rohstoffe geht, ächzt sogar der Weltmarkt. Nicht etwa wegen der Menschen oder der Umwelt. Nein, Sorge bereitet die Knappheit der Metalle. "Bevor uns das Öl ausgeht, geht uns das Kupfer aus", hat sich so ein Satz in die Erinnerung geätzt. Inzwischen existiert ein ganzer Wirtschaftszweig, der sich dem Recycling widmet; dort zerschreddert man Mobiltelefone, weil in 41 Stück davon, so viel Gold zu finden ist wie in einer Tonne Erz. Das Recycling der Metalle der Seltenen Erden ist hingegen noch wenig ausgereift.

Bei so einem großen Thema greift freilich schnell einmal etwas zu kurz. Die Schau Rare Earth in der Tba21 im Augarten nähert sich dem Thema allerdings an, wie jemand, der gerade von seiner rosa Wolke gepurzelt ist: Die verführerische Vorstellung vom unlimitierten virtuellen Raum suggeriere, dass auch wir selbst unendlich sind, so als ob ein Teil von uns mit der Infosphäre verschmelzen könnte, sagt der zweite Kurator Nadim Sammam. Solche Fantasien würden leider die Folgen dieser "Schwerelosigkeit" verdrängen, die ökologischen, ökonomischen und sozialen Ungerechtigkeiten verliere man aus dem Blick. Von "grounding" spricht er, also vom Erden unserer feuchten Technoträume. Folgt man Christian Jürgensen Thomsen, der die Welt, den Waffen und Werkzeugen der Menschen entsprechend, 1836 in drei Perioden, in Stein-, Bronze- und Eisenzeit einteilte, leben wir heute im Zeitalter der Seltenen Erden. Soweit die Theorie.

Das "Erden" ist aber - entsprechend der These? - sehr aseptisch und aufgeräumt anzuschauen. Auch nervenschonend. Selbst der übermütige Ikarus, dessen Höhenflug in Folge seiner Selbstüberschätzung unsanft endete, sieht in Roger Hiorns Installation ganz unversehrt aus: Auf dem Motor eines Militärhubschraubers - auf dem auch eine harmlose Flamme lodert - hat ein Nackter Platz genommen, grüblerisch wie Rodins Denker (1880-82): "Eine Reflexion über die technologischen Prothesen des Menschen", erfährt man im Katalog zur Schau mit den 17 Arbeiten zu 17 Seltenen Erden.

Pathos und Alchemie

Solch' Pathos entbehrt auch Erick Beltráns sich stetig veränderndes, monumentales Molekül-Mobile Hephaistos' Traum nicht: Der göttliche Waffenschmied ist Ausgangspunkt einer mythologie-verliebten Bildungsbürgerreise, die antikes Kriegswerkzeug - Heraklios' Keule, Helios' Streitwagen - mit heutigen Kampftechnologien verknüpft, mit Panzern, Robotern, einem Kosmos aus mit Seltenen Erden besteckten Leiterplatten.

Stellvertretend für das den Coltan-Abbau im Kongo thematisierende Langzeitprojekt des Duos Revital Cohen und Tuur Van Balen sind - eigenhändig - zerlegte Festplatten aufgehäuft. Denn Recycling heißt die neue Mine. Das Schicksal der Tagelöhner im Konfliktgebiet bringt das jedoch kein bisschen näher. Etwas konstruiert ist in dieser Hinsicht auch Rare Towel von Ai Weiwei, der mit fluoreszierenden, Europium enthaltendem Garn Handtücher bestickt hat: fernöstlicher Raubbau für westliche Wellness.

Wenig brisant auch der Zugang von Iain Ball, den das Alchemistische, Okkulte an den Seltenen Erden interessiert und der in seiner kryptischen Versuchsanordnung Neomydium eine Echse unter ein Maitreya-Sonnenkreuz platziert.

Die meisten Arbeiten entstanden im Auftrag der Tba21. Das erklärt, wieso die Zusammenhänge so künstlich-krampfhaft gebaut sind. Für das Thema brennende Künstler sucht man hier vergebens. Weh tut hier nichts. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 25.2.2015)