Kinder und Jugendliche glauben – wenn nicht zuvor Gravierendes schiefgelaufen ist– prinzipiell an das Gute im Menschen. Sie glauben daran, dass Unrecht Unrecht und dass Recht Recht ist und bleibt. Falls man es ihnen vermittelt hat, glauben sie daran, dass man ihnen Rechte und Pflichten einräumt. Gut, das mit den Pflichten glauben sie nicht so gerne. Jedenfalls nicht sofort. Sie glauben aber daran, dass diese Rechte gewahrt bleiben, wenn sie offen ihre Meinung kundtun. Kurzum: Sie haben ein gewisses Urvertrauen unserer Gesellschaftsordnung gegenüber, zu der auch das Demonstrationsrecht zählt, ebenso wie das Recht auf freie Meinungsäußerung.

Jener Jugendliche, der nun nach den Ausschreitungen im Zuge der WKR-Demo letztes Jahr rechtskräftig freigesprochen worden ist, glaubt das nicht mehr. Die Gesellschaft hat ihn Folgendes gelehrt: Die Teilnahme an einer genehmigten Demo kann auch bei völliger Unbescholtenheit zu körperlichen Schäden führen, die noch ein Jahr nach der unsanften Amtshandlung Krücken und Schmerzmittel notwendig machen. Sein Wort hat wenig Wert. Jene Beamten, die ihn auf den Boden schleuderten, sind über jeden Verdacht erhaben, das Verfahren wurde eingestellt. Der Freispruch beweist zwar seine Unschuld, die er von Anfang an beteuert hat, latent schwingt jedoch ein "Selbst schuld" und ein Grundmisstrauen mit. Dass Randale nicht zur freien Meinungsäußerung gehört, versteht sich von selbst.

Kriminalisieren friedlicher Protestteilnehmer hat eine lange und unschöne Tradition. Diese Tradition führt in alle möglichen Richtungen, nicht aber in eine ausgewogene demokratische Situation. Im Gespräch äußerten seine Freunde – weit entfernt von jeglichen Randalegedanken, ganz normale Schüler – Bedenken, nochmals an einer Demonstration teilzunehmen. Sie fürchteten ähnliche Erfahrungen, Falschbeschuldigung und Unrecht. Diese Sorgen ließen sich nicht zerstreuen. Die Schmerzen werden vergehen, hoffentlich. Die Verunsicherung bleibt. Ist es wirklich das, was wir unseren Kindern vermitteln möchten? Besser stillhalten, besser schweigen? Oder Gewaltausübung und zermürbende Prozesse riskieren, wenn man zu seiner Meinung steht? Welche zukünftigen Bürger will man so heranziehen? Eine Gesellschaft von kuschenden Jasagern ist ein gefundenes Fressen für Rattenfänger aller Art. (Julya Rabinowich, DER STANDARD, 21./22.2.2015)