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Arbeitnehmer unterm Rad? Österreich ist bei der Mitarbeiterzufriedenheit in Europa führend, sagen Experten der Wirtschaftskammer.

Foto: APA/Pfarrhofer

Wien - Der wachsende Druck auf dem Arbeitsmarkt hinterlässt zunehmend auch in der Psyche der Beschäftigten Spuren. Der Marktforscher Ifes erhebt im Auftrag der Arbeiterkammer unter Betriebsräten regelmäßig die Befindlichkeit der Mitarbeiter. 65 Prozent der gut 250 Befragten in Österreich klagen über gestiegenen Zeitdruck in den vergangenen sechs Monaten. Nur ein Prozent spürt Entlastung.

60 Prozent sehen ihre Leute immer stärkeren Anforderungen an die Flexibilität ausgesetzt. 40 Prozent sprechen von einem mieseren Betriebsklima. Viele Betriebsräte fühlen sich von der Geschäftsführung übergangen. Mehr als ein Fünftel meint, dass sich ihre Einflussmöglichkeiten auf die Arbeitgeber verschlechtert haben. Probleme tun sich der Umfrage zufolge dabei vermehrt in Großkonzernen und in Betrieben mit Zentralen im Ausland auf.

Für Arbeiterkammer-Präsident Rudolf Kaske werden Mitarbeiter derzeit über Gebühr belastet, "und das betrifft nicht nur die Frage der Steuern. Viele arbeiten am Limit, und der Zenit ist nicht erreicht."

Stark im Stress

Vier von zehn Dienstnehmern sehen sich im Job stark psychisch belastet - um gut 400.000 mehr als 2007, zitiert er Daten der Statistik Austria. Entsprechende Probleme sorgten für 3,4 Millionen Krankenstandstage - ein Zuwachs von 221 Prozent. Die Zahl an Ausfällen durch Arbeitsunfälle ist geringer. Auch Judith Pühringer ortet erhebliche Zuwächse an psychischen Belastungen, die dazu führten, dass Menschen ihren Job verlieren. Pühringer ist Chefin des Bundesdachverbands für Soziale Unternehmen, die beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt helfen. Die Gründe, warum viele Österreicher im Job an ihre Grenzen gelangen, sind für sie vielschichtig: Es beginne bei der Angst vor Arbeitslosigkeit wie dem Gefühl, rund um die Uhr verfügbar sein zu müssen und ende bei der Frage, ob die richtigen Leute die für sie richtige Arbeit tun.

Helmut Hofer, Experte des Instituts für Höhere Studien, sieht die Barometer der AK kritisch, da damit gern Stimmung gemacht werde und sich mit der Methodik viel steuern lasse. Dass der Druck in der Arbeitswelt steigt, ist jedoch auch für ihn unbestritten. Er hält Doppelbelastungen für Frauen angesichts von Beruf und Familie für diskussionswürdig. Zudem setzten sich die Leute verstärkt selbst unter Druck. Auch der Hang zu Freizeitstress spiele mit herein. In Österreich habe sich, wie er sagt, viel bei der Vorbeugung von Ar- beitsunfällen getan. "Doch bei der Prävention von Burnout muss man sich noch was überlegen."

Gerechtere Arbeitsverteilung

Für Pühringer ist es hoch an der Zeit, über eine gerechtere Verteilung von Arbeit zu debattieren - von der es für die einen zu viel und für andere zu wenig gebe. Hofer ist kein Freund der kürzeren Arbeitszeiten, schon gar nicht bei vollem Lohnausgleich. Das sei wirtschaftlich nicht vertretbar, sagt er. Abgesehen davon helfe es einer ar- beitslosen Krankenschwester im Burgenland nichts, wenn ein Tiroler Industriearbeiter 36 statt 38 Stunden in der Woche arbeite.

Seit 2013 müssen Betriebe Ar- beitsplätze auf psychische Belastungen abklopfen und gegebenenfalls reagieren. Laut der jüngsten Ifes-Umfrage kam bisher lediglich die Hälfte der Unternehmen dem gesetzlichen Auftrag zumindest in Teilen nach. Nur ein Viertel ergriff Maßnahmen zur Entlastung. Kaske sind zwei Jahre Schonfrist genug: Er fordert strengere Kontrollen des Arbeitsinspektorats, das personell aufgestockt gehöre, und Strafen bei Verstößen. "Den Zeigefinger zu heben ist zu wenig."

Wirtschaftskammer blockt ab

Die Wirtschaftskammer erteilt seinem Ansinnen eine scharfe Absage: Die Evaluierung psychischer Belastungen mit ihren intimen betriebsinternen Fragen sei für die Unternehmen enorme Belastung, sagt Martin Gleitsmann, Leiter der Abteilung für Sozialpolitik. "Wir neigen dazu, die Betriebe in Bürokratie zu ersticken. Die Grenze des Erträglichen ist überschritten."

Die Erhebungen der AK zum Arbeitsklima stehen, betont er, in massiver Diskrepanz zu anderen Umfragen. In diesen sei keinesfalls die Rede davon, "wie krank alle sind und wie furchtbar alles ist". Beim European Working Conditions Survey etwa liege Österreich bei der Arbeitszufriedenheit an fünfter Stelle. Und gemäß des Flash Eurobarometers der EU-Kommission erfreuten sich gut 92 Prozent der Österreicher eines sicheren, gesunden Arbeitsplatzes. (Verena Kainrath, DER STANDARD, 18.2.2015)