Das zaghafte V des Jan Boklöv, hier gezeigt 1989 in Bischofshofen, zeitigte keine Siegesflut. Das lag aber nicht allein am Widerstand der Traditionalisten des Skispringens. Der schwedische Entdecker war schlicht nicht der Mann, seine Entdeckung so auszunützen, wie es bald die Großen der Szene taten.

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Jan Boklöv (48) macht der WM in Falun den Botschafter.

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Die Saison 1990/91 war keine schlechte für Österreichs Skispringer gewesen. Andreas Felder war bei der Vierschanzentournee nur Jens Weißflog unterlegen, hatte aber den Weltcup für sich entschieden. Bei der WM in Val di Fiemme hatte Heinz Kuttin auf der Normalschanze gesiegt und das Team mit Kuttin, Ernst Vettori, Stefan Horngacher und Felder Gold geholt. Weshalb die Truppe auch skeptisch war, als Trainer Anton Innauer im Sommer von ihr verlangte, auch einmal diesen V-Stil auszuprobieren.

Selbst der große Visionär war reichlich spät dran, hatte doch die heute gebräuchliche Form der Schanzenspringerei schon mehr als fünf Jahre zuvor Jan Boklöv, nun ja, erfunden. Beim Training in Falun riss dem Schweden heftiger Aufwind die wie üblich parallel geführten Skier auseinander. Der 19-Jährige konnte gerade noch landen - jenseits der 80 Meter. Mit 70 wäre er zufrieden gewesen.

Gegen die Stürze

Kein Wunder, dass ihn Trainer Ake Östlund nicht davon abhielt, an seiner Entdeckung zu feilen. Boklövs Verdienst ist, dass er sich selbst von schweren Stürzen und Verletzungen wie Schulterbrüchen nicht davon abhielten ließ, den V-Stil zu entwickeln und im Weltcup vorzustellen.

Boklöv sprang den Konkurrenten mit der neuen Technik bei weitem nicht immer, wie dann erzählt wurde, um die Ohren. Er hätte aber mit seinen Weiten bessere Plätze verdient, als sie ihm zugestanden wurden. Die Punkterichter benachteiligten den Mann aus Malmberget in Lappland, der seine Latten nicht parallel halten wollte. Benachteiligten ihn auch auf Anweisung des Norwegers Torbjörn Yggeseth, des Skisprungchefs im Skiweltverband (Fis), eines recht hartleibigen Traditionalisten.

Fünf Siege und ein Segen

Boklöv hätte mehr als die fünf Siege verdient gehabt, die er in der Saison 1988/89 feierte, mehr als den Triumph in der Weltcupgesamtwertung. Die Anerkennung der Kollegen bekam der 1,68 Meter große - eher nicht - Modellathlet immerhin. Einmal, 1988 in Lahti, zog ihn, den Zweitplatzierten, gar der große Finne Matti Nykänen ehrenhalber zu sich auf das oberste Treppchen.

Aber nicht Boklövs Stärke, sondern die möglichen Vorteile, die bessere Springer als der Schwede mit dessen Stil herausholen könnten, bewogen die Österreicher, das V zu wagen. Die Schweizer Stephan Zünd und der Deutsche André Kiesewetter, die 1991 insgesamt fünf Weltcupspringen für sich entschieden, ließen Innauer handeln. "Das Weltcupfinale in Strbske Pleso gab den Ausschlag", erinnert sich Ernst Vettori, der heutige sportliche Leiter für Sprunglauf und Kombination im österreichischen Skiverband (ÖSV). Zünd hatte die Konkurrenz auf der Großschanze deklassiert, die Österreicher hatten also wie alle großen Sprungnationen ein deutliches Problem.

Zaudern beim Umstieg

"Es war aber auch ein Problem, dass Olympia vor der Tür stand", sagt Vettori. Die Chancen bei den Spielen in Albertville wollten sich kaum welche durch Experimente mindern, schon gar nicht jene wie etwa Felder, die die Szene beherrschten. Vettori: "Wir haben alle den V-Stil gelernt, aber einige sind auch wieder zurückgestiegen." Der Absamer selbst jedenfalls nicht. Er gewann am 2. Dezember 1991 ein Weltcupspringen in Thunder Bay in der neuen Technik - als erster Athlet, der auch davor im Parallelstil siegreich gewesen war. "Ich war also auch irgendwie ein Pionier." Boklövs Verdienst sei es gewesen, den Mut gehabt zu haben, so etwas zu machen, und zwar gegen alle Widerstände.

Dass Boklöv in vielerlei Hinsicht schwächer als die damalige Skisprungelite war, will Vettori so nicht sagen, wohl sagt er aber, dass der Schwede nicht unter den besten gewesen sei, "was die Sprungkraft, die Athletik betrifft".

1992, bei Olympia, reichte es für Boklöv auf der Normalschanze für Rang 47, für die Großschanze wurde er nicht nominiert. Der beste Parallelspringer im Einzel war der Finne Mika Laitinen als Fünfter auf der Normalschanze. Die Olympiasieger, Vettori und der Finne Toni Nieminen, sprangen mit V.

Mehr Sicherheit

Aber nicht der sportliche Quantensprung gilt Vettori als größter Verdienst der Pioniere, vielmehr ist der V-Stil, abgesehen von in etwa 30-prozentigem Weitenvorteil, wesentlich sicherer, als es der Parallelstil war. "Das System ist stabiler."

Boklöv, trotzdem noch öfter verletzt, beendete 1993, kurz vor der dritten WM in Falun, seine Karriere. Heute ist der gar nicht verbitterte Vater zweier Söhne Hausmann in Brüssel. Seine Frau arbeitet für die EU. (Sigi Lützow aus Falun, DER STANDARD, 18.2.2015)