Der Matador des absurden heimischen "Pop-Art"-Theaters: Wolfgang Bauer (1941-2005) schrieb mit "Der Rüssel" einen zwerchfellerschütternden Schwank über Klimawandel und Tropenkoller.

Foto: Christian Jungwirth

Wien - Leibnitz macht sich um Österreichs wildesten Dramatiker unerwartet verdient. Im Zuge von Archivarbeiten stieß man im Stadtmuseum der steirischen Weinmetropole auf ein Dramenmanuskript. Dessen Titel: Der Rüssel. Autor Wolfgang Bauer nannte sein absurdes Stück "eine Tragödie in elf Bildern". Im Besitz der verloren geglaubten Kostbarkeit befand sich der Komponist Franz Koringer (1921-2000), seines Zeichens Leibnitzer. "Magic Wolfi", den man für Magic Afternoon schätzt, dessen umfangreiches Werk kaum noch gespielt wird, scheint auf sein eigenes Elefantendrama irgendwann großzügig Verzicht geleistet zu haben.

Das vierte Bild des Schwankes gelangte 1970 in der Zeitschrift Ver Sacrum zum Abdruck. Der Wikipedia-Eintrag über Bauer gibt den restlichen Text als verschollen aus. Eine briefliche Widmung Bauers ist an den "lieben Lois" gerichtet. Der Rüssel dürfte den mit Bauer befreundeten Autor Alois Hergouth als umfangreicher Weihnachtsgruß erfreut haben.

Die Teile des Puzzles passen somit zusammen. Koringer schätzte Hergouth, vertonte dessen Gedichte. Das Typoskript könnte zu Studienzwecken zwischen den beiden den Besitzer gewechselt haben - und muss darüber in Vergessenheit geraten sein. Ein schwerer Schlag. Das Stück zeigt Bauer (1941-2005), den Grazer Originalbeitrag zum Drama des Absurden, auf der Höhe seiner Kunst.

Stück als Weihnachtsgruß

Rein äußerlich ließe sich von einem Volksstück sprechen. Schauplatz ist die gute Zirbenstube einer allerdings monströsen Familie mitten in den Alpen.

Rund um das Anwesen der Tilos flackert und grollt die Natur. Großvater Ulpian und Großmutter Heloise vertreiben sich die Zeit mit abwegigen Spielrunden, zu denen sie Bürgermeister und Kaplan einladen. Gewonnen hat, wer aus Tausenden von Spielkarten ein Blatt mit zwei-, dreihundert Karten bildet.

Die Enkel Gregor und Soscho gehen allnächtlich auf die Pirsch. Als besonderes Früchtchen hat der dritte Enkel namens Florian zu gelten. Er hält sich zumeist am Eingang eines Wasserlochs auf. In dessen Inneren entsteht ein Elefant. Zeitgleich droht dem geruhsamen Bergdorf ein ökologischer Super-GAU. Riesige Weinbergschnecken bevölkern das Umland. Palmen sprießen aus den Felsen, "tropische Flora", so Bauer, "überwuchert die alpine".

"Afrika ist da!", lautet die Devise von Lieblingsenkel Florian, der einen formidablen Voodoo-Priester abgibt und die Natur behext. Es geht leider sehr viel schief. Der frisch geschlüpfte Elefant verhängt sich mit seinem Rüssel im Fenster des Bauernhauses. Die Dörfler schleppen tonnenweise Bananen und Datteln aus dem umliegenden Tropenwald (sic!) an, damit das Ungetüm satt wird.

Frivoles Klima

Florian, der Urheber des Chaos, landet im sechsten Bild am Galgen. Er darf jedoch wiederkehren und die Landbevölkerung freundlich dazu nötigen, den Elefanten anzubeten. Alles mündet in die heiterste Verwirrung - und ist dennoch wie aus einem Guss. Man entdeckt mit stillem Entzücken das frivole Reizklima wieder, das einige der besten Stücke Wolfgang Bauers auszeichnet. Als besonders absurde Figur schließt man den Kolonialwarenhändler Kuckuck ins Herz. Dieser pfiffige Krämer erfreut die Bergler mit einer Kollektion an Lendenschurzen und Tropenhelmen.

Die Urheberrechte des Textes liegen jedenfalls bei der Familie, das Manuskript selbst bleibt im Besitz des Stadtmuseums Leibnitz. Das Drama wird mit weiteren unveröffentlichten Stücken aus dem Nachlass anlässlich Bauers zehnten Todestages Ende August 2015 im Ritter-Verlag erscheinen. Bereits vorher verwöhnt die Zeitschrift manuskripte ihre Leser mit einem Komplettabdruck.

Bauer-Herausgeber Thomas Antonic von der Universität Wien spricht mit Blick auf den Fund von einem Text, den man "aufgrund seiner bemerkenswerten Qualität keinesfalls als Jugendwerk" bezeichnen dürfe. Entstanden dürfte der verhängnisvolle (weil eingeklemmte) Rüssel "ziemlich sicher im Sommer 1962" sein. Rund um diese Zeit machte sich Bauer an Einaktern wie Der Schweinetransport und den berühmten Mikrodramen zu schaffen. Wiederum hofft man, die Dramaturgen würden das Brett vor dem Kopf wegnehmen - und den "neuen" Bauer umgehend uraufführen lassen. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 18.2.2015)