Ein Anhänger der Ansar al-Sharia bei einer Demonstration 2014. Teile der libyschen Extremistengruppe haben der IS die Treue geschworen.

Foto: P Photo/Mohammad Hannon, File

Maskierte Männer führen ihre Opfer, 21 Männer in orangefarbenen Uniformen, zu ihrer Hinrichtung. Die Bilder der Aufnahme, die jenen aus dem Bürgerkrieg in Syrien ähneln, stammen jedoch nicht aus der Levante, sondern aus Nordafrika. Es sind Kämpfer des Ablegers der Gruppe "Islamischen Staat" (IS) in Nordafrika, die die entführten Kopten vor laufenden Kameras ermorden.

Das brutale Video hat ein Schlaglicht auf die Aktivitäten der IS außerhalb Syriens und des Irak geworfen. Die IS beginne zunehmend "einen globalen Fußabdruck" zu hinterlassen, sagte unlängst Vincent Stewart, Chef des US-Geheimdiensts Defense Intelligence Agency (DIA).

Seit der Etablierung des "Islamischen Staats" im Juni 2014 haben militante Islamisten in mehreren Ländern – darunter Libyen, Ägypten, Algerien, Afghanistan, Saudi-Arabien und der Jemen – der irakisch-syrischen Extremistengruppe die Treue geschworen. Unklar ist jedoch, wie effektiv diese Ableger sind und wie stark die Gruppen von der "Zentrale" in Syrien und dem Irak geführt werden. Das Video von vergangener Woche lässt aber Rückschlüsse auf durchaus intensive Kommunikation zwischen dem libyschen IS-Ableger und den Extremisten in Syrien zu. Die Aufnahmen der Exekutionen in Libyen ähneln in Schnitt, Stil und Kameraperspektive jenen aus Syrien.

  • Auf besonders fruchtbaren Boden ist die IS-Expansion in Libyen gefallen. Seit dem Sturz von Langzeitdiktator Muammar al-Gaddafi 2011 ist das Land zunehmend ins Chaos geschlittert. Die gewählte Regierung hat sich in den Osten des Landes begeben, in der Hauptstadt Tripolis wurde eine Gegenregierung installiert. In Städten wie Bengasi bekriegen sich islamistische Milizen mit Regierungskräften, in vielen Landesteilen wurde das Machtvakuum bereits von islamistischen Extremisten besetzt. Die IS hat gleich von drei Gruppen in dem Bürgerkriegsland Loyalitätsbekundungen erhalten: Extremisten aus Barqa im Osten des Landes, Fezzan in der südlichen Wüste und Tripolitanien im Westen.
    Laut libyschen Behördenangaben hat Abu Bakr al-Baghdadi, Kalif der IS, einen Tunesier mit dem Namen Abu Talha mit der Führung in Libyen beauftragt. Die Kämpfer des IS-Ablegers sind neben den Städten Sirte und Derna auch in Bengasi und der Hauptstadt Tripolis präsent. Erst vergangenen Monat verübte eine lokale IS-Gruppe dort ein Selbstmordattentat auf ein Luxushotel, bei dem acht Menschen ums Leben kamen.

  • In Ägypten machten sich Vertreter der von Al-Kaida inspirierten Gruppe Ansar Beit al-Maqdis vergangenes Jahr nach Syrien auf, um von der IS Waffen, Geld und Unterstützung zu erbeten. Im November schließlich nannte sie sich in die "Sinai-Provinz des Islamischen Staates" um und übernahm die mittelalterlichen Bestrafungsmethoden ihrer syrischen Vorbilder. Die Gruppe nahm bisher jedoch großteils Ziele der Regierung und des Militärs ins Visier – mit zunehmendem Erfolg. Der IS-Ableger verfeinerte seine Taktik und geht immer besser vorbereitet vor. Im Oktober 2014 starben 30 Soldaten bei einem ähnlichen Großangriff der "Sinai-Provinz". Allein im vergangenen Monat starben bei einer Reihe von Angriffen 32 ägyptische Soldaten. Trotz großer Anstrengungen der Sicherheitskräfte im Nordsinai gelang es der ägyptischen Regierung nicht, die beinahe täglichen Angriffe der Extremisten zu stoppen. Seit Oktober herrscht in dem Gebiet sogar eine nächtliche Ausgangssperre, dem Wachstum der Gruppe hat das keinen Abbruch getan.
  • Auch im Rest Nordafrikas (vor allem Tunesien und Algerien) haben die syrisch-irakischen Extremisten der IS Nachahmer gefunden. Viele der Islamisten hatten bisher Verbindung zu "Al-Kaida im Islamischen Maghreb" (AQMI), lösten sich von dieser jedoch nach dem Erfolg der IS-Expansion los, um für die IS zu kämpfen. Am bekanntesten sind die algerischen Extremisten "Soldaten des Kalifats" (Jund al-Khilafa), die vor allem durch ein Video von der Hinrichtung des Franzosen Hervé Gourdel zu trauriger Berühmtheit gelangten. Der Erfolg hielt sich jedoch in Grenzen, nachdem Algerien einen massiven Militärschlag gegen die Extremisten durchführte und viele der IS-Anhänger dabei tötete.
    Aus Tunesien hingegen strömen viele Islamisten Richtung Syrien, um sich dort Gruppen wie der IS anzuschließen. Im Land selbst hat sich nur die "Uqba ibn Nafaa"-Brigade positiv über die IS geäußert.

Besorgnis erregen die Entwicklungen in Nordafrika vor allem in Italien und Frankreich. Letzteres verfügt über eine große Community aus den ehemaligen Kolonien in Nordafrika, einige davon sind radikalisiert: Mehr als 1.400 Franzosen sollen laut Behörden Kontakte zu jihadistischen Gruppen haben, einige hundert davon sollen sich aufgemacht haben, um in den bewaffneten Jihad in Syrien und im Irak zu ziehen. Der Attentäter von Paris, der vier Menschen in einem koscheren Supermarkt ermordete, behauptete, Kontakt zur IS zu haben; seine Freundin soll nach Syrien gereist zu sein, um sich der IS anzuschließen.

Italien wiederum trennen nur 800 Kilometer von den Küsten Libyens. Die italienische Regierung befürchtet, dass sich islamistische Extremisten unter Mittelmeer-Flüchtlinge mischen könnten, um dann in Italien Anschläge zu verüben. (Stefan Binder, derStandard.at, 19.2.2015)