Wien - Mit einem sanften Wummern bleibt der Warenlift stehen. Zwei geübte Griffe, und die eierschalenfarbenen Türen öffnen sich schwungvoll. Heraus rollt behäbig ein überdimensionierter Topf. So akkurat geschlagen ist der weiße Schaum darin, dass das leise Zittern der kleinen Zacken kaum wahrnehmbar ist. Ein fast poetischer Augenblick, für den die weißgewandete Mittvierzigerin keinen Blick hat. Kraftvoll packt sie mit den Gummihandschuhen an und hievt das Gefäß durch den altmodisch anmutenden fliesengekachelten Raum.

Stress scheint in der Wiener Produktionsstätte der Schwedenbombe keiner zu haben. Es herrscht lange geübte Routine vor. Noch. Denn im Sommer wird man sich neue Abläufe und Wege eintrainieren müssen. Am Umzug wird gerade emsig getüftelt. Mit dem charmanten Kontor, den abgewetzten Fliesenböden und den unpraktisch verwinkelten Gängen wird es dann vorbei sein. Die Schwedenbombe kommt in Zukunft aus Niederösterreich und nicht mehr – wie all die Jahrzehnte zuvor – aus Wien. Modern wird die neue Produktionsstätte wohl werden, so viel ist gewiss. Vermutlich auch nüchtern.

Schwedenbombenproduktion in den alten Mauern. 1890 als Konditorei eröffnet, wurde 40 Jahre später die Süßwarenmanufaktur im dritten Wiener Gemeindebezirk in Betrieb genommen.
Foto: Bruckner

Welche der behäbigen Maschinen ins Industriezentrum Niederösterreich Süd unweit von Wien mitwandern, ist zum Großteil bereits entschieden. Alle werden es nicht sein, denn manche von ihnen ist in die Jahre gekommen. Die Schwedenbombendressiermaschine, Oka ihr Name, darf zum Beispiel mit. Ihre Aufgabe: aus der Schaummasse kleine weiße Schaumbömbchen formen. Die Oka ist ein echtes Original und nicht umzubringen, eben ein deutsches Qualitätsprodukt, sagt der neue Heidi-Chef Gerhard Schaller. Mit all diesen Aussichten kann man hier leben, ist doch das Überleben gesichert. Kurz sah es in der Vergangenheit so aus, als sei das keineswegs fix.

Der Schwedenbombe drohte das Aus. "Nimm's mit heim für groß und klein", das auch in der Firma affichierte Werbesprüchlein, zog zwar immer noch, aber der Wind ist für die Schokoschaumküsse rauer geworden. Nicht nur angesichts neuer Konkurrenz in den 1980er-Jahren. Auch die Essgewohnheiten haben sich geändert: Picksüße Süßigkeiten haben bei vielen auf dem Speiseplan nichts mehr verloren. Der 80. Geburtstag im November des Vorjahrs wurde quasi der Tag der Wiederauferstehung.

Die Schwedenbomben-Dressiermaschine Oka wird nach Niederösterreich mitwandern.
Foto: Bruckner

Dementsprechend gelöst ist die Belegschaft, denn an den "guten" Gehältern kann es kaum liegen. Die sind in der Branche traditionsgemäß nicht besonders üppig. Und die Produktionsstätte stimmt zwar Außenstehende nostalgisch, von moderner Wohlfühlumgebung kann aber kaum die Rede sein. 80 Mitarbeiter sind es insgesamt, die hier ihrer Arbeit nachgehen, viele von ihnen weiblich. Vermutlich hat die gute Laune auch damit zu tun, dass die vergangenen Jahre auch für sie kein Zuckerschlecken waren. Das Auf und Ab im Kampf ums Überleben ist jetzt einmal vorbei. Viele Jobs hingen lange Zeit am seidenen Faden. Der Großteil der Belegschaft ist quasi seit ewig dabei. In der Produktion würden sie wohl so schnell auch keinen anderen Job finden. Phasenweise bekamen die Mitarbeiter ihren Lohn im schwierigen Jahr 2012 wegen der finanziellen Probleme des Unternehmens nur noch unregelmäßig ausgezahlt.

Immer wieder hatte die Firma damals betont, dass ein Verkauf an einen internationalen Mitbewerber oder das Absiedeln vom Standort in Wien-Landstraße nicht infrage komme – dann blieb doch kein anderer Weg. Am Rennweg sollen 95 Wohnungen entstehen. Doch jetzt: gute Stimmung. "Die Nachfrage stimmt", sagt Schaller, während er schwungvoll von Maschine zu Maschine führt. "Hat immer gestimmt, auch als die Lage so dramatisch war. Nur konnte nicht produziert werden, weil keine Rohstoffe da waren." Bis zu eine Million Euro hat der neue Eigentümer noch in den alten Standort investiert. Alles Schall und Rauch, die Investition muss wohl abgeschrieben werden.

Einmal Schaumschlagen bitte: Der genaue Inhalt ist natürlich Betriebsgeheimnis.
Foto: Bruckner

Wir werfen einen Blick auf die Schaumküsse, wie sie in gleichmäßigem Tempo vorbeiziehen, wie eine kleine Armee. 600 Bomben - eine Hälfte pur, die andere mit Kokosflocken - laufen pro Minute vom Band. Schaummasse in Töpfe füllen – exakt 50 Grad muss sie haben – und anschließend die einzelnen Schritte überwachen. Zunächst sind die Bomben ganz nackig weiß, später mit Schokolade geschminkt. Vom Anrühren des Schaums über die Bespritzung des Waffelbodens bis zum Schokoüberzug dauert es rund eine halbe Stunde. Dann landen die 70-Kalorien-Bömbchen im Sechser-Plastikpack oder im 20- bzw. 40-Stück-Karton. Die Mitarbeiter haben darauf zu achten, dass die Größe stimmt, keine Bombe zerbricht. Kühlen – genau auf acht Grad. Verpacken. 16 Damen hantieren emsig und füllen das Endprodukt ein. Die Packung praktisch, aber unsexy? Ganz ehrlich, bei der will man bleiben, sagt Schaller, denn die Leute wollen sehen, was drinnen ist.

Im vergangenen Jahr wurde bei laufendem Betrieb der in die Jahre gekommene und zuletzt vernachlässigte Maschinenpark in Schuss gebracht. Auch die traditionelle Sommerpause - deren Notwendigkeit in der Vergangenheit stets mit Haltbarkeitsproblemen begründet wurde – fiel erstmals aus. Man hat an der Kühlkette gearbeitet. Der Einschichtbetrieb könnte in Niederösterreich ohnedies einem neuen Modell weichen. Es weht ein neuer Wind, schon jetzt in den alten Mauern. Das Hauptprodukt, die Schwedenbombe, soll dagegen bleiben, was sie immer war.

Die Schwedenbombe unterwegs: In 30 Minuten produziert, in wenigen Sekunden verschlungen.
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Eine lockere Süßigkeit aus Eischnee und Zucker schwebte dem Erfinder, Konditormeister Walter Niemetz, vor, als er nach sieben Jahren, in denen er in einer Patisserie in Paris gearbeitet hatte, in die Heimat zurückkehrte. 1930 wurde die Süßwarenmanufaktur in Betrieb genommen, im November 1934 die Marke eingetragen. Heute schwebt der Zuckerschaum immer noch durch die gleichen Produktionsräume. Nur der Kakao ist jetzt aus fairem Handel, ganz dem Zeitgeist entsprechend. Die Konsistenz sei "unübertroffen", wie man hier im Hause schwört. Die Schneemasse sitzt auf einer Oblate und wird überzogen mit Schokolade. In den Siebzigerjahren wurde die Oblate durch eine Waffel ersetzt – sonst hat sich an der Rezeptur bis heute nichts geändert. Etwas, das man so und so sehen kann. Schaller sieht das Gute daran. "Man stelle sich vor", sagt er heftig bewegt und referiert eine Markenstudie: "Bei den Österreicher liegen die Schwedenbomben bei der Markenbekanntschaft an dritter Stelle, und das ganz ohne Marketingaktivität."

Bis heute werden am Rennweg auch die Schokoriegel Manja und Swedy hergestellt, wobei Manja jetzt ein bisschen kleiner ist. "Die Konsumenten wollen das so", sagt Schaller. Er war zuvor Geschäftsführer bei Kraft Foods Österreich und hat zuletzt das Auslandsgeschäft für den Meinl-Konzern geleitet – zu dem Niemetz inzwischen gehört. Das Aus für den Standort wurde bereits bei der Übernahme im Sommer 2013 besiegelt. Dass der neue Chef ein Profi ist, hört man gleich. Schaller sagt jetzt Sätze wie: "Wir sind eine Manufaktur, keine Fabrik." Man könne zum Beispiel eine Produktionsstraße in Niederösterreich einrichten. Aber das soll nicht passieren. Auch dort soll ein Konditormeister den Schaum anrühren. So, wie es immer schon war. Über die Schulter schauen darf man ihm dabei allerdings nicht. Betriebsgeheimnis. Kein Geheimnis ist ein Teil seiner Besonderheit: Grau meliert, so schaut er aus, wegen des Kakaos, der in die Eiweißmasse kommt. Jener der Konkurrenz ist schneeweiß.

Hier werden die Bestellungen entgegengenommen. So charmant wird es in der neuen Produktionsstätte wohl nicht mehr sein.
Foto: Bruckner

Pro Tag verlassen im Schnitt 400.000 Schwedenbomben das Förderband. Sechs Tonnen sind das täglich. Von langer Hand geplant ist da nichts. Der Handel ruft in der Früh bis 10 Uhr an, am nächsten Tag wird die Ware geliefert. Wenn die Dame im verglasten Kontor gut drauf ist, so wie heute, dann ist ein guter Tag. Sie nimmt die Bestellungen entgegen. Zuletzt gab es viele solcher guten Tage. Fast jeder war einer, seit die Firma gerettet ist. (Regina Bruckner, derStandard.at, 27.2.2015)