Ein Videostill aus einem der beiden Filme, mit denen Jelena Jureša für ihre Arbeit "Mira, Study for a Portrait" eine bosnisch-jüdische Familiengeschichte unsentimental und doch berührend rekonstruiert.

Foto: Jelena Jureša

Graz - "Wir sind alle immer Teil mehrerer Geschichten", sagt die in Novi Sad geborene Künstlerin Jelena Jureša, umringt von Fotografien ihrer jüngsten Ausstellung in der Halle für Kunst und Medien (Künstlerhaus). Jureša meint das historisch.

Die Geschichten einer Familie, eines Staates oder einer Minderheit können sich überschneiden, voneinander entfernen oder sich wieder annähern. In ihrer aus Videos, Fotografien und aus einem Buch (Edition Fotohof) bestehenden Arbeit Mira, Study for a Portrait nähert sich Jureša einer Frau, die im 20. Jahrhundert lebte.

Wie sich ein Maler in Studien zu einem Bildnis vielleicht zuerst mit Details und Ausschnitten beschäftigt, stellt Jureša das Porträt aus Archivaufnahmen sowie vielen (Film-)Bildern zu Mensch und Natur zusammen, um so ein Leben zu rekonstruieren. Die biografischen Eckdaten: Mira war die Tochter von David, der jüdische Wurzeln hatte, und Minka, die aus einer muslimischen Familie stammte. Sie lebte in Sarajevo und Belgrad, heiratete, wurde Mutter, ließ sich scheiden und starb 1990 bei einem Autounfall.

Die Geschichte der bosnisch-jüdischen Familienmitglieder zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und jene derer, die auch Jugoslawien erleben durften, wird aus dem Off erzählt, während zwei jeweils 45 Minuten lange Videos laufen. Sie sind auf zwei Wände projiziert, die im rechten Winkel aufeinanderstoßen: Es ist also unmöglich, den einen zu betrachten, ohne auch den Text des anderen mitzuhören, ein Kunstgriff, der die Theorie der Zugehörigkeit eines Menschen zu mehreren Geschichten spiegelt.

Erzählt werden Teile von Familiengeschichten durch dritte Personen, dann wieder berichtet der Sohn Miras, der seine Mutter über ihr Leben befragt hat. Manchmal passen die schwarz-weißen Bilder, die vorüberziehen, zum Gesagten; manchmal verliert sich der Blick aber auch in harmlos schweigender Natur, wenn man den stets nüchtern und völlig unsentimental gesprochenen Sätzen lauscht. Da ist dann etwa plötzlich von einer Hochzeit die Rede und im nächsten Atemzug von der Exekution der Braut nach nur einem Jahr Ehe.

Wer sich Zeit nimmt und Jurešas große und kleine Puzzleteile eines Daseins auf sich wirken lässt, die Filme dabei vielleicht sogar zweimal ansieht, hat am Ende ein Stück Leben kennengelernt: ohne Schnörkel dokumentiert, aber hie und da mit Einblicken, in denen man die Gefühlswelten der Protagonisten erahnen kann - nicht nur jene von Mira. Es ist eine wahre Geschichte, der man sich durch viele Geschichten angenähert hat - und durch äußerst ausdrucksstarke Bilder. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 10.2.2015)