Julia Reda kämpft für ein modernes Urheberrecht, das Nutzer und Künstler gleichsam stärkt. (Bildlizenz: CC by)

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STANDARD: In Österreich gibt es seit vergangenen Sommer Netzsperren, die illegale Videoportale blockieren. Eine gute Lösung?

Reda: Ich halte Netzsperren für ein völlig ungeeignetes Mittel, um irgendwelche Probleme zu lösen. Ich bin 2009 im Streit um Netzsperren in Deutschland aus der SPD ausgetreten – damals ging es um den Schutz vor kinderpornografischen Inhalten. Wir argumentierten, dass solche Filter immer weiter ausgedehnt werden könnten – uns wurde versichert, dass dies nicht so sein wird. Jetzt gibt es Netzsperren wegen Urheberrechtsverstößen. Sie betreffen immer auch rechtmäßige Nutzer, technisch Versierte können sie aber leicht umgehen.

STANDARD: Warum setzen die Rechteinhaber dann auf dieses Mittel?

Reda: In manchen Industriezweigen hat sich die Erkenntnis, dass solche Maßnahmen kontraproduktiv sind, bereits durchgesetzt. Ich denke hier an die Musikindustrie. Dort erkennen einige, dass Nutzer bereit sind, für Inhalte zu zahlen – wenn der Download oder das Streaming einfach funktioniert und Konsumenten nicht das Gefühl haben, über den Tisch gezogen zu werden.

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Neue Nutzungsformen wie Streaming verlangen nach einer Urheberrechtsreform.
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STANDARD: Von Rechteinhabern hört man oft, dass die vielen nationalen Regelungen im EU-Raum die Schaffung neuer Angebote verkomplizieren.

Reda: Im Moment ist es so, dass Anbieter von Onlinediensten für alle Länder, in denen sie aktiv sein wollen, Lizenzen erwerben müssen. Das erschwert es Start-ups, Streaming-Angebote auf den Markt zu bringen. Zurzeit müssen Inhalte im Ausland gesperrt werden, was für reisende Nutzer extrem ärgerlich ist – dann ist oft Filesharing die attraktivere Lösung.

STANDARD: Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Nutzer bereit sind, genug für Angebote zu zahlen?

Reda: Das Problem bei Streaminganbietern ist oft, dass die Einnahmen beim Künstler nicht ankommen. Die Rechteinhaber stehen relativ gut da, es werden heute mehr europäische Filme, Musik und Bücher auf den Markt gebracht als vor einigen Jahren. Aber die Urheber sind in einer schlechten Verhandlungsposition.

STANDARD: In Österreich gibt es heftige Debatten um die sogenannte Festplattenabgabe, bei der Konsumenten Künstler für Privatkopien entschädigen. Was halten Sie von diesem Modell?

Reda: Europäische Länder haben mit Geräteabgaben extrem schlechte Erfahrungen gemacht. Es gibt komplizierte Regelungen, welcher Tarif gilt – da müssen Anwälte entscheiden, ob bei einer Abgabe auf Drucker das Gewicht des Gerätes zählt und ob dann beim Abwiegen schon Papier im Drucker stecken muss. Es schadet dem Handel, außerdem bleibt bei der Verteilung der Gelder viel auf der Strecke.

STANDARD: Nutzer werden zusehends selbst zu Produzenten: Jeder kann fotografieren, Songs remixen. Wie wollen Sie darauf reagieren?

Reda: Ich möchte die Nachnutzung von Werken erleichtern. So soll es möglich sein, aus Videos zu zitieren – etwa wenn Youtuber über historische Ereignisse berichten möchten. Genauso soll es möglich sein, eine Hommage an ein anderes Werk zu machen, etwa durch einen Remix.

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Jeder kann selbst zum Urheber werden – und kommt so mit dem Recht in Berührung.
Foto: Reuters/Stringer

STANDARD: Auf WhatsApp kursieren Abmahn-Kettenbriefe, Facebook-Nutzer wollen der Plattform die Nutzung ihrer Privatfotos verbieten. Wie wichtig sind einfache Regeln, die jeder versteht?

Reda: Das ist der Kern meiner Vorschläge: Das Urheberrecht war ja nicht dazu gedacht, in den Alltag der Menschen hineinzuregieren, es betrifft durch die Digitalisierung aber plötzlich jeden. Deshalb müssen wir stark vereinfachen.

STANDARD: Als Beispiel nennen Sie dafür das Thema "Panoramafreiheit". Was hat es damit auf sich?

Reda: So bezeichnet man das Recht, Gebäude zu fotografieren und das Bild zu verteilen. In Österreich gibt es die Panoramafreiheit, in Deutschland nur mit Einschränkungen: Das hat dazu geführt, dass ein deutsches Gericht einem Urlauber verboten hat, sein Bild vom Wiener Hundertwasserhaus zu verteilen. In Österreich war das hingegen legal. In Frankreich können Architekten jeden abmahnen, der Gebäude fotografiert und das Bild verbreitet – da müsste man Experte in 28 Rechtssystemen sein, um nicht mit dem Urheberrecht in Konflikt zu kommen.

STANDARD: Es ist im ersten Moment erstaunlich, dass "ausgerechnet" eine Abgeordnete aus der Piratenpartei für diesen Bericht zuständig ist. Kann man das als Statement des EU-Parlaments sehen?

Reda: Durchaus – die EU-Kommission hat klar gesagt, dass sie mehr für die Nutzer tun will und die Urheberrechte vereinfachen will. Die Politik wurde sicher durch die ACTA-Proteste wachgerüttelt. Den meisten Leuten ist klar, dass das derzeitige Urheberrecht nicht mit dem Internet vereinbar ist.

STANDARD: Sie machen publik, welche Lobbyisten Sie getroffen haben. Was erhoffen Sie sich von dieser Transparenz?

Reda: In offiziellen Berichten des EU-Parlaments tauchen immer wieder Zahlen auf, die direkt aus Lobbyingstudien kommen – und die teilweise sehr fragwürdig sind. Daher halte ich es für wichtig zu zeigen, woher Informationen stammen. Es ist auch eine gute Kontrolle für mich selbst, um festzustellen, ob ich alle Interessengruppen angehört habe. Prinzipiell sind die Rechteinhaber aber viel stärker in Brüssel vertreten. (Fabian Schmid, DER STANDARD, 9.2.2015)