Wien - Werner Peschek versteht die Aufregung um die Zentralmatura in Mathematik "überhaupt nicht". Der Professor für Didaktik der Mathematik an der Uni Klagenfurt ist einer der "Väter" der neuen standardisierten Reifeprüfung und konnte an der Probeschularbeit dafür nichts Problematisches finden, im Gegenteil: "Die Beispiele waren absolut in Ordnung, da war nichts dabei, was nicht seit 2009 bekannt ist, dass es kommen kann", sagt Peschek im STANDARD-Gespräch. Sein Institut entwickelte 2008 ein Konzept für die Zentralmatura, 2011 hat das Bildungsforschungsinstitut Bifie das Projekt übernommen.
Die Aufregung schwappte hoch, als bei der Probematura an den AHS Anfang Jänner 28 Prozent der Schülerinnen und Schüler einen Fünfer bekamen. Je nach Schule schwankten die Ergebnisse stark. Zudem wurde ein Drittel der Mädchen mit Nicht genügend beurteilt, bei den Buben ein Viertel.
Das müssen sie können
Und jetzt? Ursachenforschung und nachdenken, was noch zu tun ist, um im Frühjahr plangemäß in den AHS eine gute neue Matura über die Bühne zu bringen, fordert Peschek. "Denn", betont der langjährige Leiter des Österreichischen Kompetenzzentrums für Mathematikdidaktik, "die Aufgaben waren angemessen. Das müssen Maturanten können, sonst brauchen wir gar keine neue Matura machen."
Die, die sich jetzt am meisten aufregen, seien oft jene, "die nach wie vor nicht so weit sind, dass ihre Schüler die Sachen schaffen - aus welchen Gründen auch immer". In vielen dieser Fälle hätten sich die Lehrer "nicht oder nicht rechtzeitig darauf eingestellt". Es gebe auch Klassen, "die verweigern".
Klassen, "die hintennach sind"
Manchmal sei eine Erklärung für Fünferquoten, "dass es Schulen gibt, die sehr großzügig sind mit der Aufnahme von Schülern", sagt Peschek. Also AHS, die versuchen, auch viele Schüler aus Neuen Mittelschulen zu holen, um ihren Standort zu sichern. "Die Lehrer mühen sich dort oft sehr ab, aber sie schaffen es dann doch nicht im erwünschten Maße, weil die Schüler zum Beispiel weniger motiviert sind, einen schwierigen sozialen Hintergrund haben oder weil die Schulen von der technologischen Ausstattung her benachteiligt sind. Es gibt einfach Klassen, da sind die Schüler bei den Leistungen hintennach."
Nicht immer sind die Schüler allein schuld
Und da wird es Probleme geben, ist sich Peschek sicher. Das hätten die Experten aber auch schon vor sechs Jahren in der Planungsphase gewusst: "Was ist der Plan B in solchen Schulen? Mir ist nicht bekannt, dass da etwas passiert ist", kritisiert Peschek: "Man müsste differenzierte Maßnahmen setzen." Denn ausbaden müssen es in jedem Fall die Schüler. Müssen? Da würde der Mathematiker Einspruch erheben. Man könne nicht "Probleme in jedem Fall und zur Gänze den Schülern anlasten".
Es müssten produktive Exitstrategien entwickelt werden, ohne das ganze Projekt zu kippen oder ins Bodenlose zu nivellieren, "um lokale Katastrophen zu verhindern". Peschek beschreibt als realistisches Szenario, mit dem er rechnet, österreichweit mehrere Klassen, in der mehr als 25 Prozent der Maturanten einen Fünfer schreiben. Was dann?
Ein Viertel Fünfer als Grenze
Es gibt natürlich kein Recht darauf, bei der Matura durchzukommen, aber es gibt Größen, die nachvollziehbar und vertretbar sind. Ein Drittel Fünfer ist es nicht. Derzeit, bei der "alten" Matura, kassieren im Schnitt rund 20 Prozent bei der schriftlichen Arbeit ein Nicht genügend, mit der mündlichen Matura zusammen scheitern bei der Matura alt in Mathematik im Endeffekt im Schnitt 15 Prozent.
Lösungsquote ausnahmsweise senken
"Alles, was über 20 Prozent ist, ist bedenklich", sagt Peschek und fordert bei mehr als einem Viertel Fünfer Maßnahmen für die betroffene Klasse: "Dann sollte man für diese Klasse die Lösungsquote, die derzeit etwas über 50 Prozent liegt, so herabsetzen, dass es nicht mehr als 25 Prozent Fünfer gibt." Die Mathelehrer der jeweiligen Schule müssten dann gemeinsam mit der Schulleitung und der Schulaufsicht versuchen zu "klären, warum es dazu gekommen ist und welche Möglichkeiten es gibt, das in Zukunft zu verbessern".
Maximal fünf Jahre Not
Ausdrücklich betont der Didaktiker: "Man muss es deklarieren als ausnahmsweise Notfallaktion auf dem Weg zum allgemein verpflichtenden Niveau." Nach drei, maximal fünf Jahren sollte dieser Feuerwehrmechanismus nicht mehr notwendig sein, meint Peschek. Dann müssten alle Schulen fit für eine richtige Zentralmatura mit einem "Mindestlevel" sein.
Auf den Einwand "Wie kommen denn die anderen dazu?" entgegnet Peschek: "Ich weiß nicht, ob die betroffenen Schüler wirklich einen Vorteil haben, wenn sie nach acht Jahren Mathematikunterricht nicht das können, was notwendig ist. Die scheinen mir eher acht Jahre lang durch einen nicht entsprechenden Unterricht benachteiligt zu sein."
Bitte keine "österreichischen Lösungen"
"Lustig" sei die Sache für niemanden, darum rechnet Peschek "mit österreichischen Lösungen" statt der von ihm geforderten transparenten Intervention: "Man wird vertuschen, nachkorrigieren, nachhelfen. Das halte ich für viel schlimmer, denn dann wird es in den kommenden Jahren dieselben Probleme wieder geben."
Verwunderung über Gender-Gap bei Probematura
Über die Unterschiede zwischen Buben und Mädchen bei der Mathe-Testmatura war Peschek übrigens "etwas verwundert". Genau dazu habe das Bifie ja umfassende und sehr teure Feldtestungen gemacht, mit denen etwaige "genderdiskriminierende" Beispiele aufgedeckt werden sollten. "Haben die Feldtests das nicht geleistet oder wurden deren Ergebnisse bei der Zusammenstellung der Probeschularbeit nicht beachtet?", fragt sich Peschek. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 5.1.2015)