Bismuth bewirbt in Wien seinen Film "Where is Rocky II?". Darin sucht er nach dem künstlichen Felsen, den Ed Ruscha 1977 in der Wüste platzierte, und thematisiert zugleich die Mythen, die die Kunst bildet.

Foto: Pierre Bismuth und Jan Mot, Brüssel

Wien - Der Geruch wird verfliegen. Momentan liegt er allerdings noch (je nach Riechvermögen) hartnäckig in der Luft der Kunsthalle Wien: der Duft von Katzenfutter - Geschmacksrichtung Huhn. Verursacher sind graubraune Häufchen. Offiziell spricht man von Plastikspaghetti-Nestern, ohne diesen Kuratoren-Euphemismus fühlt man sich optisch jedoch eher an Exkremente erinnert, die sich völlig frei von einem Formwillen - sagen wir "ergeben" haben.

Fern der noch immer lebendigen Vorstellung vom Künstlergenie ist konkret ein sogenannter Extruder, eine Maschine zur Kunststoffformgebung, für die aromatisierten Kreationen verantwortlich. Über Ästhetik muss und mag man hier nicht weiter nachdenken, aber die Idee hinter diesen, eher unappetitlichen Objekten ist durchaus anregend:

"Ich wollte einmal Molekül-Designer sein", sagt der 1966 geborene Künstler Pierre Bismuth über den Reiz, einen Werkstoff zu erfinden. Nützlichkeit hingegen - und das ist wesentlich - ist nicht nur keine Intension Bismuths, sondern wird von ihm auch explizit ausgeschlossen: Das Plastik darf für kein Unternehmen und für keinen Markt nützlich sein. (Wenn man Bismuth beim Wort nimmt, müsste man die Chicken-Nester also auch dem Kunstmarkt entziehen, sie also nach Ausstellungsende einstampfen.)

Transformation heißt die für Wien entwickelte Installation und führt, folgt man dem Essay der Theoretikerin Dessislava Dimova, schnurgerade zu Philosoph Roland Barthes. Der sagte, Plastik sei nicht nur eine Substanz, sondern "die Idee ihrer unendlichen Transformation": Verwandelt der Fleischwolf Fleisch in reine, formlose Materie, so transformiert Bismuths Extruder die formlose Materie Plastik zwar in etwas mit Fleischaromen Versetztes, es bleibt aber deswegen noch immer etwas Formloses.

Irgendwie haftet dieser Arbeit ein Kulturpessimismus an: der Gedanke an das ewige Produzieren von letztlich Nutzlosem. Und tatsächlich hat es Bismuth in seinem Werk, aus dem nun rund 60 Arbeiten seit Ende der Achtzigerjahre zu sehen sind, auf das Kunstsystem abgesehen: Er torpediert Originalität, Autorschaft, Geniekult und allzu fixe Lesarten.

So klaut er in der 1998 begonnenen Serie Following the Right Hand of ... die Handschrift von Berühmtheiten - etwa von Picasso oder Freud -, indem er ihrer filmisch dokumentierten Gestik mit dem Zeichenstift folgt und so zu relativ abstrakten Zeichnungen gelangt. In Stand by Me (2011) bekleidet er Pin-ups mit Spiegelbikinis, die den voyeuristischen Blick zurückwerfen. In Respect the Dead (2001) hinterfragt er filmische Erzähltraditionen und das Motiv des Todes, in dem er Kinoklassiker unmittelbar nach dem ersten Ableben einer Figur abreißen lässt: In Lethal Weapon (1987) stürzt sich in der ersten Szene eine zugekokste Nackte vom Balkon.

Dschungelbuch global

Eine der bekanntesten Arbeiten Bismuths, der 2005 (gemeinsam mit M. Gondry und Ch. Kaufman) für das Drehbuch von Eternal Sunshine of the Spotless Mind einen Oscar gewann, ist jene zum Dschungelbuch. Er sampelte 2002 die Synchronfassungen des berühmten Animationsfilms, sodass jeder Charakter in anderer Sprache spricht. Sie thematisiert den globalen Zugriff auf ein gemeinsames (pop)kulturelles Erbe. Der Clou kommt zuletzt: Mogli sucht sein Glück bei den Menschen; Balu der Bär und Baghira der Panther besinnen sich ihrer Freundschaft. Singend trotten sie davon, der eine Hebräisch, der andere Arabisch sprechend.

Pierre Bismuth nutzt die Wiener Schau aber auch als Plattform, um sein aktuelles Projekt : Where is Rocky II zu bewerben, sein Debüt als Regisseur. Der fertige Film, von dem in Wien einstweilen nur Trailer-artige Sequenzen zu sehen sind, wird dokumentarische und fiktive Elemente verweben. Es geht darin um eine Arbeit des US-amerikanischen Künstlers Ed Ruscha, der 1976 einen künstlichen Fels in der kalifornischen Mohave-Wüste platzierte. Bis zum heutigen Tag verweigert Ruscha die Auskunft darüber, wo genau. Einzig ein dokumentarisches Video aus jenen Tagen zeigt zwei Männer beim Ablegen eines Objekts bei einer wenig einprägsamen Felsformation.

Bismuth engagiert für seine filmische Suche einen Privatdetektiv, dessen Befragungen aufschlussreiche Einblicke in den Kunstbetrieb gewähren, der bei seinen Recherchen aber auch auf andere verrückte Wüstenvögel trifft. Im Grunde interessiert Bismuth weniger das Aufspüren des Verstecks, als die Art, wie Kunst die Fantasie beflügelt und wie solche Geheimnisse an der Mythenbildung zur Kunst beteiligt sind. – Für die Vorab-Promotion im Rahmen der Ausstellung gibt es nebenbei bemerkt ebenso triviale wie dringliche Gründe: Die Produktion wird zum Teil über Crowdfunding finanziert. Die am 20. Jänner gestartete Kampagne hat bisher knapp 38.000 Dollar lukriert, bis zum 20. Februar müssen also noch 75 % der Gesamtsumme, Ziel sind 150.000 Dollar, gesammelt werden.

Um dem Irrtum des einzig wahren und darin autoritären Blicks auf sein Werk zu entgehen, werden in der Schau im Übrigen drei Perspektiven eingenommen: Arbeiten ausgewählt haben neben dem Kurator Luca Lo Pinto, der Psychoanalytiker Angel Enciso und der Anwalt Laurent Caretto. (Die Sichtweise des Juristen ist angesichts von Bismuths zahlreichen Appropriationen, sprich Aneignungen, naheliegend.) Zu sehen ist trotzdem nur eine Ausstellung mit unterschiedlichen Kommentaren; drei unterschiedliche Präsentationen mit gemeinsamen Schnittmengen wäre für die kühle Weite der großen Halle eine reizvolle Option gewesen. Da blieb gestalterisches Potenzial unausgeschöpft. Ansonsten: Komplex und gehaltvoll. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 4.2.2015, Langfassung)