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Das ausgelassene Publikum wirft mit Papierfliegern: eine Szene von der jährlichen Ig-Nobelpreis-Verleihung in der ehrwürdigen Harvard University.

Foto: AP Photo/Winslow Townson

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Erfinder Marc Abrahams spielt stets den Zeremonienmeister mit geflicktem Zylinder: Hier hält er die - jedes Jahr neu kreierte - Trophäe hoch. Dankesreden werden gesungen. Wenn sie aber zu lange dauern, wird protestiert.

Foto: REUTERS/Brian Snyder

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Hier tragen zwei Ig-Nobelpreisträger früherer Jahre die BH-Körbchen-Atemschutzmasken.

Foto: REUTERS/Jessica Rinaldi

Wien/Boston - Es gibt immer wieder Momente, in denen Wissenschafter und Techniker eine große Portion Humor beweisen müssen. Da kann es natürlich darum gehen, das wiederholte Scheitern eines Experiments zu akzeptieren. Es kann aber auch ganz plötzlich wichtig sein, gelassen, wenn möglich belustigt auf einen Anruf von den Organisatoren des Ig-Nobelpreises zu reagieren. Dieser wird seit 1991 jährlich als herzhafte Parodie auf die Nobelpreise vergeben - vor allem für Forschungsarbeiten, die auf den ersten Blick sinnlos und skurril sind.

Marc Abrahams, einer der Erfinder des Preises und Zeremonienmeister bei der Verleihung, sagt zum Standard: "Wir fragen die Leute ganz diskret, ob sie den Preis annehmen wollen. Wenn sie ihn ablehnen, dann schweigen wir darüber." Das komme aber höchst selten vor. "Wenn die Wissenschafter gerade am Anfang ihrer Karriere stehen und vielleicht um ihr berufliches Überleben kämpfen, dann verstehen wir eine Ablehnung. Da wäre der Ig-Nobelpreis zu peinlich." Denn als solche kann man diese "Würdigung" auch betrachten: "Ignoble" heißt ja zu Deutsch "schmachvoll" oder "unehrenhaft".

Unter den Preisträgern war etwa eine Gruppe, die sich ernsthaft fragte, warum Spechte kein Kopfweh kriegen, eine andere studierte das Verhältnis zwischen Körpergröße, Penislänge und Schuhgröße, eine dritte beschäftigte sich mit der These, dass Menschen ihr Ableben verschieben, wenn dadurch weniger Erbschaftssteuer gezahlt werden muss. Erfinder wurden geehrt - sie hatten zum Beispiel luftdichte Unterwäsche mit austauschbarem Aktivkohlefilter entwickelt oder, wie eine ukrainische Ärztin, einen BH, den man zwischen den Körbchen trennen und zu zwei fest anliegenden Atemschutzmasken umwandeln kann.

Den Ig-Nobelpreis hat ganz im Gegensatz zum ehrwürdigen Original in der jüngsten Vergangenheit auch ein Wissenschafter aus Österreich gewonnen: Ludwig Huber von der Vet-Med-Uni Wien für die Analyse, ob das Gähnen von Schildkröten untereinander ansteckend ist.

Doch spätestens angesichts der Liste der Preisträger für Frieden wird deutlich, dass der Ig-Nobelpreis auch zum Nachdenken anregen soll. Letzteren erhielt unter anderem der "Vater der Wasserstoffbombe", Edward Teller, der auch Befürworter eines Raketenabwehrschilds in Hochzeiten des Kalten Krieges war - für den Versuch, die Bedeutung des Wortes Frieden umzuwandeln.

Zuerst einmal lachen ...

Abrahams' Motto: "Das ist unser Ziel: Zuerst lachen, dann nachdenken." Der US-Amerikaner, der mittlerweile zahlreiche Bücher geschrieben hat und Kolumnist in der britischen Tageszeitung Guardian ist, sagt: "Wir werden jeden Tag mit Informationen gefüttert. Viele Menschen wollen uns sagen, was wichtig ist und was nicht. Der Ig-Nobelpreis ist nicht wichtig, aber wir wollen, indem wir die Aufmerksamkeit auf scheinbar Nebensächliches, auf diese ,silly science' lenken, zeigen, dass wir uns nicht von Dingen erdrücken lassen sollten, die andere für wichtig halten." Man müsse neugierig bleiben, um im Alltag nicht abzustumpfen.

Jährlich erhalten die Organisatoren ungefähr 9000 Nominierungen. "Jeder kann eine Nominierung abgeben - auch Journalisten", sagt Abrahams mit einem deutlichen Hinweis an sein Gegenüber. Das Organisationsteam muss vorerst einmal prüfen, ob sich nicht einige Wissenschafter selbst nominiert haben. "Das passiert jedes Jahr", meint Abrahams lachend. "Dadurch fallen schon einmal zehn bis zwanzig Prozent der Nominierungen weg." Und er ergänzt mit beinahe strengem Unterton: "Wer den Ig-Nobelpreis unbedingt gewinnen will, hat keine Chance, ihn zu gewinnen. Das ist vermutlich die einzige Gemeinsamkeit mit dem Nobelpreis."

Weitere Ähnlichkeiten sind nicht zu erkennen: Die jährliche Nobelpreisgala im Rathaus in Stockholm ist schon allein durch die Präsenz des schwedischen Königs extrem förmlich. Bei der Ig-Nobel-Zeremonie an der renommierten Harvard University in Boston herrscht Partystimmung. Und das nicht nur, weil das Publikum Papierflieger auf die Bühne wirft. Auch sonst herrscht eine recht ausgelassene Atmosphäre.

Abrahams erinnert sich: Im ersten Jahr war man in der gleichen Stadt am MIT (Massachusetts Institute of Technology). Man hatte das Gefühl, in diesem ehrwürdigen Rahmen - das MIT stellte einen prächtigen Theatersaal zur Verfügung - etwas Unanständiges zu machen. "Im Laufe der Verleihung schauten sich die Leute an wie Kinder, die darauf warten, dass ein paar grantige Erwachsene die Tür zum Saal aufreißen und ein Ende der Feier verlangen."

... und dann nachdenken

Mittlerweile muss sich Abrahams, der als Zeremonienmeister stets mit zusammengeflicktem Zylinder auftritt, nicht mehr als Teenager fühlen, der jederzeit "überrascht" werden könnte. Der Herausgeber der "Annals of Improbable Research" kann nämlich auch stolz darauf sein, dass bei jeder Verleihung auch echte Nobelpreisträger zugegen sind und die Ig-Nobelpreise übergeben. Und sie waren dabei zu allerlei Schabernack bereit. Wolfgang Ketterle, Physik-Laureat von 2001, sowie Paul Krugman, Wirtschaftsnobelpreisträger von 2008, ließen sich zum Beispiel die BH-Körbchen-Sauerstoffmasken anlegen.

There is no business like show business. Ein typisch US-amerikanischer Zugang zur Wissenschaft und ihren Erkenntnissen, könnte man sagen. Abrahams sieht das differenzierter: "Es gibt viele Menschen, die da mitmachen. Es geht einfach darum, sich selbst und seine Entdeckungen nicht zu ernst zu nehmen." (Peter Illetschko, DER STANDARD, 31.1.2015)