Der 80-jährige Branko Konjević aus Sutorina auf der Terrasse vor der Bucht von Kotor. Das Tal gehörte vor 1947 zu Bosnien-Herzegowina, seither zu Montenegro.

Foto: Adelheid Wölfl

Montenegro weigert sich, einen Botschafter in Sarajevo zu ernennen, und spricht von einer "politisch gefährlichen" Situation. Zeitungen und Fernsehen berichten über ein montenegrinisches Dorf, das besser zu Bosnien-Herzegowina gehören sollte. "Sutorina ist Bosnien", steht auf Plakaten von Nationalisten. Nun hat auch Bosnien-Herzegowina seinen Grenzstreit. Das Parlament verwehrte plötzlich die Zustimmung zum fix ausgehandelten Grenzabkommen mit Montenegro. Es bezweifelt, dass die Grenzziehung von 1947 rechtmäßig war.

In Sarajevo machen sich sogar Universitätsprofessoren dafür stark, dass die 74 Quadratkilometer südlich von Trebinje bis zum Meer Montenegro wieder weggenommen werden. Auch einige Politiker liebäugeln damit. Nur im Tal des Flusses Sutorina sind die bosnischen Vereinnahmungsversuche kein Thema. Stevo Vlahović steht im Garten, bei seinem Salat, dem Wein, den Kiwis. "Die Grenze? Ach, hier sind doch 90 Prozent der Leute dafür, dass das zu Montenegro gehört." Und warum dann das Theater? "Das ist nur Propaganda", sagt er und schenkt selbstgemachten Nusslikör ein. Von seiner Terrasse aus sieht man die Bucht von Kotor. "Aber schon klar, dass das hier alle wollen, es ist eine der schönsten Aussichten auf dieser Welt."

Der Bischof von Zahumlje und Herzegowina etwa, Grigorije Durić, meint, dass Bosnien-Herzegowina ein legitimes Recht habe, um den Abschnitt bis zur Küste zu streiten. Grigorije argumentiert, seine Eparchie reiche auch über die bosnische Grenze hinaus. Die alte Kirche zur heiligen Verklärung in der Bucht gehört dazu.

Will hier jemand lieber zu Bosnien-Herzegowina gehören? Branko Konjević lebt am Berghang von Sutorina. "Nein", sagt er gelassen. Und warum dann die ganze politische Krise? "Die Leute haben halt gerne ein bisschen Aufregung", sagt der 80-Jährige.

Berge als natürliche Grenze

Gut, sein Vater habe ihm schon erzählt, dass damals, 1947, als die beiden Kommunistenführer, der Bosnier Djuradj "Djuro" Pucar und der Montenegriner Blažo Janković, ausschnapsten, dass die Berge ab jetzt die "natürliche Grenze" sein sollten, die Leute in Sutorina gegrummelt hätten, dass man wenigstens ein Referendum machen hätte können. "Wieso sollen der Djuro und der Blažo das alleine ausmachen?" Aber gut, es war damals Jugoslawien und die Grenzen zwischen den Teilrepubliken eigentlich egal. In Sarajevo kursiert sogar die Geschichte, dass der Djuro an diesem Abend dem Blažo den Zugang zum Meer nur deshalb überlassen hat, weil er so betrunken gewesen sei.

Zwischen den jahrhundertealten Olivenbäumen zeigt Konjević indes heute auf die "Boka", die Bucht. "Dort hat Tito seine Sommervilla gehabt, und 300 Meter davor war früher die Grenze zwischen Bosnien und Montenegro." Der Zugang zum Meer sei hier immer wichtig gewesen, für die Republik Dubrovnik, später auch für Österreich-Ungarn. Die Zypressen stehen schlank in den Himmel, die Orangen leuchten an den Steinmauern. Konjević zerreibt frische Lorbeerblätter. "Die Natur gibt dir hier alles, du brauchst nur die Hände aufzuhalten." Und die Grenze heute? "Das ist unwichtig. Hauptsache, die Menschen haben ein gutes Leben", sagt er und geht wieder zu seinen 16 Ziegen. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, Langfassung, 30.1.2015)