Ein drei Tage altes Küken bei der Arbeit: Offenbar assoziieren auch Hühner kleinere Quantitäten räumlich eher mit links.

Foto: Rosa Rugani/University of Padova

Padua/Wien - Wie stellen Sie sich eine Zahlenreihe von eins bis neun vor? Die meisten Europäer etwa würden wohl an eine horizontale Linie denken, mit von links nach rechts aufsteigenden Zahlen. Man könnte annehmen, es handle sich dabei um eine kulturelle Prägung, denn Menschen, deren Muttersprache das von rechts nach links gelesene Arabisch ist, würden sich die Zahlenreihe genau umgekehrt vorstellen.

Es wird jedoch schon lange debattiert, ob das menschliche Gehirn über eine Prädisposition für räumliche Zahlenorientierung verfügt und kleinere Zahlen automatisch mit links, größere mit rechts verbindet. Im Arabischen würde dieser Annahme zufolge eine anerzogene Überlagerung dieser natürlichen Veranlagung vorliegen.

Situationsbedingte Einschätzung

Forscher der Uni Padua bringen nun im Fachblatt "Science" neuen Schwung in diese Diskussion: Sie konnten in Experimenten zeigen, dass Hühner - genauer gesagt drei Tage alte Küken - die linke Seite eines gegebenen Raumes eher mit kleineren Quantitäten assoziieren, die rechte Seite mit größeren. Für ihre Versuche trainierten sie die Küken zuerst darauf, Futter hinter einer Tafel mit fünf Punkten zu finden.

Im nächsten Schritt mussten sich die Tiere für eine von zwei nebeneinanderstehenden Tafeln entscheiden (Futter gab es hinter beiden). Zeigten nun beide Tafeln je zwei Punkte, entschied sich die Mehrheit der Küken für die linke. Bei je acht Punkten tendierten sie wiederum nach rechts, ebenso bei zwanzig. Folgten auf die zwanzig aber erneut acht Punkte, bevorzugten sie diesmal die linke Tafel, beurteilten also scheinbar die Quantität je nach Situation unterschiedlich.

Hirn-Asymmetrie als Ausgangspunkt?

Die Forscher interpretieren ihre Ergebnisse als Bestätigung für die Veranlagung einer von links nach rechts verlaufenden sogenannten "mental number line" im Gehirn, die noch von den gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Vogel stammen könnte. Ein möglicher Ursprung wäre die Entwicklung der funktionellen Ungleichheit der beiden Großhirnhemisphären.

Dabei könnte nicht nur deren unterschiedliche Dominanz bei mathematischen Fähigkeiten oder räumlichem Denken eine Rolle gespielt haben, sondern auch bei der Emotionsverarbeitung von Quantitäten. Deren Bewertung fällt evolutionär gesehen recht eindeutig aus: Weniger ist eben nicht mehr. (David Rennert, DER STANDARD, 30.1.2015)