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Susanne Weigelin-Schwiedrzik, Vizerektorin der Uni Wien, kritisiert die FWF-Richtlinien.

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Wien - "Wenn einer in den Supermarkt geht und dreimal vergeblich nach Milch sucht, darf er dann in diesem Supermarkt ein Jahr lang nicht mehr nach Milch fragen?" Mit heftiger Polemik reagiert der Zellbiologe Michael Jantsch von der Max F. Perutz Laboratories in Wien auf neue Förderrichtlinien des Wissenschaftsfonds FWF. Grund für seinen Ärger ist ein Detail des umfassenden Katalogs: Wer künftig dreimal hintereinander eine Projektablehnung mit der Bitte um Überarbeitung durch die internationalen Gutachter des FWF erhält, muss mit diesem Projekt künftig ein Jahr lang pausieren. Wer die schlechteste Bewertung erhält - C5 nach dem neuen Kriterienkatalog - muss damit sofort ein Jahr lang aussetzen.

Für einen negativen Bescheid der Jury würden schon geringe Verbesserungsvorschläge eines Reviewers reichen, sagt Jantsch. "Da kann der andere über den Antrag jubeln: Du wirst dennoch noch einmal in die Warteschleife geschickt." Er sieht daher in diesen neuen, seit 1. Jänner 2015 geltenden Förderichtlinien eine "inadäquate Reaktion auf die Tatsache, dass der FWF für die zahlreichen Anträge, die bei ihm einlangen zu wenig Geld hat". Man wolle die Zahl der Anträge reduzieren. Zur Erinnerung: Der FWF hat derzeit rund 200 Mio. Euro Budget zu vergeben. Zu wenig, um mehr der qualitativ immer besser werdenden Anträge zu fördern, sagt Jantsch. Die Statistiken geben dem Wissenschafter in diesem Zusammenhang recht. Im Jahr 2013 gingen demnach Anträge ein, für die der FWF 777,5 Millionen Euro gebraucht hätte. 202,6 Millionen, also nicht einmal ein Drittel davon, konnte er ausgeben (siehe Grafik links).

Jantsch betont, selbst nicht über zu wenig Fördermittel klagen zu können. Der von ihm an den Max Perutz Laboratories geleitete Spezialforschungsbereich zum Thema RNA sei verlängert worden. "Ein Jahr aussetzen bricht den Jungen das Genick." Der FWF sieht das naturgemäß anders. Man sei überzeugt, dass die Arbeit keiner Wissenschaftergruppe von diesen neuen Regeln gebremst werde, schon gar nicht jene der Jungwissenschafter.

Fonds ist diskussionsbereit

Wenn ein und dasselbe Projekt trotz Überarbeitung dreimal abgelehnt werde, müsse man davon ausgehen, "dass es in der Projektidee einen neuen Ansatz braucht - und für den braucht es eben Zeit." Und: "Wir sperren ja nicht die Wissenschafter, wir sperren dieses eine Projekt." FWF-Präsidentin Pascale Ehrenfreund sagt dazu: "Sollte sich herausstellen, dass es Benachteiligungen von einzelnen Gruppen gibt, werden wir die Kriterien diskutieren."

Man habe hier keinen "Schuss aus der Hüfte" produziert, sondern die Änderungen langfristig auf Basis zahlreicher Daten durchgeführt, die durch eine Umfrage unter Wissenschaftern, eine Roadshow zu den Forschungseinrichtungen und eine Klausur mit dem von Wissenschaftern besetzten Kuratorium des FWF zusammengetragen wurden.

Die zeitlich begrenzten Antragssperren seien internationale Praxis. Der Europäische Forschungsrat ERC sperre ein Projekt schon nach nur einmaliger Ablehnung. Die Bewertung "B" führe zu einem Jahr, die Bewertung "C" sogar zu zwei Jahren Zwangspause. Diesen Vergleich lässt Jantsch allerdings nicht gelten: "Der FWF ist die Butter auf dem Brot, der ERC ist der Kaviar", sagt er. Er habe zwar Verständnis, dass die schlechtest bewertenden Projekte gleich ein Jahr pausieren müssen, in den anderen Fällen müsste der FWF aber umdenken.

Komplexes Prüfverfahren

Ein Hintergrund der geänderten Antragsrichtlinien dürfte das Gutachterverfahren selbst sein - in dem ausschließlich internationale Experten aus den Fachrichtungen angefragt werden. Jeder Neuantrag braucht auch neue Gutachter. Da gehen dem FWF irgendwann einmal die Experten aus, die die Projekte bewerten könnten. Ehrenfreund betont aber, dass die begrenzten Antragssperren nur ein Detail der neuen Richtlinien sind. "Wir haben die Transparenz des Gutachterverfahrens verbessert." Die Antragsteller wüssten nun, welche Bewertungen sie für ihre Projekte erhalten - inklusive der schriftlichen Stellungnahme. Die FWF-Präsidentin erzählt, dass diese Änderungen von einer großen Mehrheit der Wissenschafter begrüßt werden.

Einige hoffen dennoch auf Änderungen in Detailbereichen - zum Beispiel Susanne Weigelin-Schwiedrzik, Vizerektorin für Forschung an der Uni Wien. Sie sieht eine Benachteiligung der Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Publikationen müssen nämlich auf Basis der neuen Kriterien "ein Qualitätssicherungsverfahren nach hohen internationalen Standards aufweisen", also in den Datenbanken Web of Science, Scopus oder im Directory of Open Access Journals (DOAJ) gelistet sein. Nur sehr wenige Geisteswissenschaften seien dort vertreten, sagt Weigelin-Schwiedrzik. Ihr zweiter Kritikpunkt: Der FWF fordere eine Internationalisierung, die für sie nicht klar formuliert und widersprüchlich zur Förderpraxis des FWF sei.

Da heißt es etwa: "In den Geisteswissenschaften sollte die Mehrzahl der Publikationen über den deutschsprachigen Raum hinausgehen und außerhalb von Österreich publiziert sein; Ausnahmen davon müssen begründet werden." Weigelin-Schwiedrzik sagt: "Dann verstehe ich aber die Druckkostenzuschüsse des FWF für Publikationen in österreichischen Verlagen nicht."

FWF-Geschäftsführerin Dorothea Sturn sieht auch in diesen Kriterien keine Benachteiligung: "Die Geisteswissenschaften haben bei uns traditionell überaus hohe Erfolgschancen, das hat sich in den letzten Jahren nicht geändert." Ehrenfreund verteidigt die neuen Kriterien vehement und sagt, dass der FWF auf Qualitäten setze. "Wir haben uns sehr lange darum bemüht, faire Richtlinien zu schaffen." Die Aufregung könne sie nicht nachvollziehen. (Peter Illetschko, DER STANDARD, 28.1.2015)