Wien - "Es ist ein tabuisiertes Thema; etwas, das hinter verschlossenen Türen passiert", sagt Sabine Mandl bei der Ergebnispräsentation am Dienstag. Die Frauenrechtsexpertin ist Leiterin eines Forschungsprojekts des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte, das sich zwischen 2013 und 2015 mit Gewalterfahrungen behinderter Frauen beschäftigte.

165 Studienteilnehmerinnen, mit unterschiedlichen körperlichen und intellektuellen Beeinträchtigungen, wurden in Österreich, Deutschland, Großbritannien und Island befragt. Nach dem Motto "Nichts über uns ohne uns" war eines der Projektziele die betroffenen Menschen selbst zu Wort kommen zu lassen: "Sie haben mich geschubst, beschimpft und ekelhaft böse gelacht", "Papa schlug mich, damit ich beim Laufen weniger humple", gibt Mandl Beispiele aus den Interviews.

Das Spektrum der Gewalterfahrungen reicht von physischer und psychischer bis zu sexualisierter Gewalt. Die Frauen erzählten von Demütigungen, Beleidigungen und Einschüchterungsversuchen, von Schlägen und Tritten, von sexuellen Belästigungen bis hin zu wiederholten Vergewaltigungen, von Zwangsabtreibungen und Mordversuchen. Zu den Tätern gehörten Eltern, Verwandte, (Ex-)Partner, Pflegekräfte und Ärzte.

Doppelte Diskriminierung

Menschenrechtsexperte Manfred Nowak sprach von einer "doppelten Diskriminierung". Die gesellschaftliche Benachteiligung als Frauen falle mit der der Beeinträchtigung geschuldeten Abhängigkeit von Bezugspersonen zusammen. Diese Machtverhältnisse führten dazu, dass behinderte Menschen nicht ernst genommen würden, dass ihnen ihre Sexualität abgesprochen werde, sagte Studienleiterin Mandl.

Neben körperlichen und psychischen Benachteiligungen zeigen die Forschungsergebnisse auch strukturelle Gewalt. Diese werde nicht verübt, sondern sei gesellschaftlich verankert, zeige sich in ungleichen Lebenschancen und fehlendem Selbstbestimmungsrecht.

Auch von institutioneller Gewalt berichteten die Forscher. Dazu gehört dominierendes Verhalten von Pflegepersonal oder Verletzungen der Intimsphäre (wenn etwa Toiletten in Wohnheimen nicht absperrbar sind). Weitere Beispiele sind soziale Isolation und fehlendes Mitbestimmungsrecht bei Tagesabläufen oder der Einnahme von Medikamenten.

Unwissen in Frauenhäusern

Die 165 Projektteilnehmerinnen wurden auch dazu befragt, wie sie den Gewaltverhältnissen entkommen sind. Auch Mitarbeiterinnen in insgesamt 602 Opferschutzeinrichtungen wurden interviewt. Dabei zeigte sich, dass in Frauenhäusern und -beratungsstellen oft noch gar kein Bewusstsein für die Lebenssituation behinderter Frauen vorhanden war.

Daneben fehlten bauliche Maßnahmen, um einen barrierefreien Zugang zu ermöglichen sowie finanzielle und personelle Ressourcen, um die entsprechende Hilfe anbieten zu können.

Die Experten kritisierten außerdem, dass Gewaltdelikte an behinderten Frauen oftmals nicht als strafrechtlicher Tatbestand angesehen werden. (Christa Minkin, DER STANDARD, 28.1.2015)