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Der Kosovo muss sich im Kampf gegen den Terror auf die EU-Rechtsstaatsmission Eulex verlassen, die das Land bei Organisationen wie Europol und Interpol vertritt. Das gilt bei Kontrollaufgaben an der Grenze (Bild), aber auch beim Austausch wichtiger Daten.

Foto: Visar Kryeziu/AP

STANDARD: Im Kosovo wird gerade ein neues Gesetz gegen die Rekrutierung für den Terror der Organisation "Islamischer Staat" (IS) diskutiert. Wie hoch ist die Strafe?

Çollaku: Maximal 15 Jahre Haft für das Kämpfen außerhalb des Territoriums des Kosovo. Die Täter können nicht nur, wenn sie zurückkommen, festgenommen werden, sondern auch auf dem Weg hierher. Es können auch diejenigen bestraft werden, die rekrutieren oder für den Kampf predigen und ausstatten.

STANDARD: Es gehen ja auch viele Islamisten aus dem serbischen Sandzak und aus Bosnien als Kämpfer nach Syrien. Die regionale Kooperation ist aber schwierig, denn bisher kann der Kosovo, der kein Mitglied der Europol oder der Interpol ist, wichtige Daten zur Terrorbekämpfung nicht austauschen.

Çollaku: Ja, das ist ein großes Handicap für den Kosovo, deswegen versuchen wir so hart, Mitglied dieser Organisationen zu werden. Bis jetzt müssen wir immer über Eulex gehen, das uns in diesen Organisationen vertritt. Aber das ist eben nicht so, als wären wir Vollmitglieder. Es ist möglich, Daten auszutauschen, aber es ist kompliziert. Jedes Land in Europa, egal wie groß es ist, und jedes Land in der Region hat ein Potenzial für terroristische Aktivitäten, und deshalb ist der einzige Weg volle Zusammenarbeit.

STANDARD: Einer der nächsten Schritte zur Umsetzung des Abkommens mit Serbien ist jener, die Justizinstitutionen im Nordkosovo, der mehrheitlich von Serben bewohnt ist, in das kosovarische System einzugliedern. Wann wird das passieren? Es geht ja auch um die Auflösung des Schutzkorps im Norden.

Çollaku: Genau, es ist völlig unnötig, dass die Parallelorganisationen da sind. Die spielen keine Rolle. Aber wenn es zu einer Verzögerung kommt, ist die Frage, was Eulex tun wird. Denn es ist eine der Hauptaufgaben der Eulex, dass die Vereinbarungen aus Brüssel umgesetzt werden. Also indem man die Parallelstrukturen auflöst, ist das auch eine Möglichkeit für Eulex, in einer normaleren Art im Norden zu arbeiten. Meine Erwartung ist, dass man das Justizkapitel bereits beim ersten Dialogtreffen am 9. Februar beendet und dann sofort umsetzt. Es gibt die Gebäude, man weiß, wie man die Leute anstellen wird. Vor Ort ist alles vorbereitet.

STANDARD: Eines der Themen, das von Serbien und vom Kosovo jeweils anders interpretiert wird, ist die Assoziation der serbischen Gemeinden. Wann wird es möglich sein, diese Organisation zu bilden?

Çollaku: Es wurde immer absichtlich gemacht, dass man Dialogergebnisse in Brüssel so und so interpretieren kann, um es der jeweiligen Öffentlichkeit so zu präsentieren, wie es ihr passt. Und das hat es ermöglicht, dass der Prozess fortschreitet. Ich glaube, das wird auch in Zukunft so sein. Ich persönlich glaube aber nicht, dass es zu irgendwelchen Problemen kommen wird, wenn es um die Bildung der Assoziation der vier serbischen Gemeinden geht. Es ist klar, wie das aussehen wird. Man kann das ein Parlament nennen, aber es wird keinen rechtlichen Effekt haben und niemals eine dritte Ebene der Regierung sein. Denn dadurch würde unser Staat und unsere Verfassung untergraben werden, und das ist völlig inakzeptabel.

STANDARD: Also kann das heuer umgesetzt werden?

Çollaku: Ja, unbedingt, je früher, desto besser. Beide Seiten haben ihren eigenen Vorschlag, sie sollten sich treffen und einen angemessenen Entwurf bereitstellen.

STANDARD: Je schneller die Assoziation gebildet wird, desto eher wird es zu einer Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) des Kosovo mit der EU kommen. Wann kann das SAA unterschrieben werden?

Çollaku: Ich habe im Dezember den Kommissar für Nachbarschaftspolitik Johannes Hahn getroffen, und es gibt keine neuen Forderungen seitens der EU-Staaten, was das Abkommen betrifft. Der Kosovo wird das SAA-Abkommen mit der EU und nicht mit den Mitgliedstaaten abschießen, damit man alle rechtlichen Probleme vermeidet. Das Dokument wird gerade übersetzt. Wenn das gemacht ist, erwarten wir, dass wir es unterschreiben können. Unsere Erwartung ist, dass wir es im späten Frühjahr unterzeichnen können. Im April oder Mai, je früher, desto besser.

STANDARD: Eines der wichtigsten Gesetze, die von der EU gefordert werden, ist jenes, das zur Errichtung des Sondergerichtshofs für Kriegsverbrechen führen soll. Wann wird dieses Gesetz das Parlament passieren?

Çollaku: Es wird in der Regierung, im Parlament und im Büro der Präsidentin diskutiert. Es ist ein sensibles Gesetz, und es wird Auswirkungen auf alle Institutionen haben. Das ehemalige Parlament hat die Verlängerung des Eulex-Mandats ratifiziert, das die Errichtung des Gerichtshofs inkludiert. Ich erwarte, dass Parlament jetzt den rechtlichen Rahmen dafür innerhalb von ein paar Wochen verabschiedet.

STANDARD: Im März?

Çollaku: März, April. Es hängt von mehreren Faktoren ab.

STANDARD: In Exjugoslawien haben Kriegsverbrechergerichte immer zu großen gesellschaftlichen Debatten geführt. Was erwarten Sie für die kosovarische Gesellschaft?

Çollaku: Als die Vorwürfe im Europarat aufkamen, war das ein Schock für uns. Wenn man die Vergangenheit und all das Leiden hier bedenkt und dass wir keinen Krieg außerhalb unseres Bodens geführt haben, empfinden wir uns als Opfer eines Terrors. Aber in jedem Krieg und in jedem Konflikt, und das gilt auch für den Kosovo, gibt es Missetaten. Und es gab Vorwürfe von einer Organisation, der wir beitreten wollen, nämlich dem Europarat. Wir nehmen die Vorwürfe ernst. Wir wollen die Wahrheit nicht verstecken. Und wenn wir nichts zu verstecken haben, dann haben wir auch nichts zu fürchten. Und wenn wir innerhalb der europäischen Familie respektiert werden wollen, dann müssen wir diese Angelegenheit ein für alle Mal beenden.

STANDARD: Kann es nicht auch positive Auswirkungen haben? Vielleicht können ja auch die Beziehungen zu den Kosovo-Serben dadurch verbessert werden.

Çollaku: Die Wahrheit hilft immer. Es wird dem Kosovo helfen, sein internationales Image zu verbessern, denn die Vorwürfe sind heftig und schrecklich.

STANDARD: Der Kosovo wird die Visaliberalisierung bekommen. Einer der Kritikpunkte von europäischen Staaten ist aber der Anstieg der illegalen Migration aus dem Kosovo. Die Anzahl der Migranten, die nach Österreich gekommen sind, hat sich etwa verdoppelt. Der Grund ist wie überall die Armut. Was kann der Kosovo realistischerweise überhaupt tun, um die Armutsmigration zu verringern, die Armut zu bekämpfen?

Çollaku: Der Anstieg der illegalen Migration macht uns Sorgen. Aber wir haben mit den allermeisten europäischen Ländern Rückführungsabkommen. Die Migranten gehen alle dorthin, in der Hoffnung, einen Job zu finden, aber sie müssen innerhalb von Wochen wieder zurück, denn der Kosovo ist ein freies und sicheres Land, und die Kosovaren bekommen kein Asyl in diesen Staaten. Wenn es um den größten Faktor für die Migration, die Armut, geht, so wird man das nicht über Nacht lösen. Wir werden mindestens fünf bis zehn Jahre brauchen, bis wir substanzielle Änderungen bei der Beschäftigung und eine Verbesserung des Investitionsklimas machen können.

STANDARD: Welche Maßnahmen werden noch ergriffen?

Wir wollen auch Schritte verstärken, um zu verhindern, dass die Leute das Land illegal verlassen. Aber das ist nicht einfach. Wir haben mit Serbien ein Abkommen, das es ermöglicht, dass die Leute nur mit ihren Personalausweisen reisen können. Man sollte von Serbien eine engere Kooperation erwarten, denn die meisten Leute gehen von Serbien aus weiter in einen der EU-Staaten. Und wenn Serbien uns schon nicht helfen will, dann sollte es aber wenigstens dabei helfen, jene zu finden, die den Schmuggel der Leute organisieren.

STANDARD: Heißt das, dass Serbien nicht mit dem Kosovo kooperiert, wenn es darum geht Menschenschmuggel zu verhindern?

Çollaku: Serbien kooperiert nicht.

STANDARD: Was brauchte es?

Çollaku: Es wäre sehr nützlich, wenn die beiden Polizeidirektoren sich so schnell wie möglich treffen würden. So ein Treffen gab es niemals. Wir haben Dokumentarfilme gesehen, wo serbische Polizeikräfte kosovarische Staatsbürger zur ungarischen Grenze transportieren.

STANDARD: Ist die ungarische Grenze das Problem? Man hört nichts von Problemen an der serbisch-kroatischen oder der serbisch-bosnischen Grenze. Es scheint, als würden die illegalen Migranten über Ungarn kommen.

Çollaku: Kroatien schaut viel mehr darauf, die eigenen Grenzen zu kontrollieren. Für uns geht es um Ungarn, denn die meisten unserer Immigranten sind in Ungarn.

STANDARD: Also wann gibt es jetzt die Visaliberalisierung?

Çollaku: Das hängt von euch EU-Staaten ab. Aus unserer Sicht wird die Visaliberalisierung die illegale Migration beruhigen. Wenn wir Teil der Schengenzone sind, müssen wir deren Regeln beachten. Zurzeit stellen wir den letzten notwendigen Rechtsakt für die Visaliberalisierung fertig. Wir brauchen dafür nur noch wenige Wochen. Dann informieren wir die EU-Kommission, dass das erledigt ist. Und dann hängt es von denen ab. Ich erwarte keine neuerlichen Forderungen von der Kommission.

STANDARD: Ist es realistisch im Frühjahr 2016?

Çollaku: Ich wäre so wie auch alle Kosovaren persönlich sehr enttäuscht, wenn diese Entscheidung nicht Ende des Jahres fällt. Es ist eine andere Frage, wann das umgesetzt wird. Aber im Dezember verschickt die EU meistens die guten oder die schlechten Nachrichten an die Staaten, die die Mitgliedschaft anstreben. Bisher gibt es keine einzige Karotte für den Kosovo, und wir wollen die Karotte der EU wenigstens kosten.

STANDARD: Wird der Streit mit Serbien um die Trepca-Mine im Nordkosovo Auswirkungen auf den Dialog haben?

Çollaku: Es gab viele Missverständnisse auf allen Seiten. Die Regierung hat verhindert, dass das Unternehmen liquidiert wird. Und jetzt hat die Privatisierungsagentur genügend Zeit, die Privatisierung vorzubereiten.

STANDARD: Serbien wird aber etwas fordern.

Çollaku: Es gibt nicht nur Forderungen von Serbien, sondern von vielen anderen Staaten, vor allem wenn es um die Schulden der Trepca-Mine geht. Und wir haben auch Forderungen an Serbien, wenn es um Eigentum geht. Das muss vor Gericht geklärt werden. Das kann man nicht im Dialog machen. Das Eigentum des Kosovo, inklusive Bergwerke, kann nicht bestritten werden, aber alle Forderungen zu Investitionen und Schulden können im Kosovo und bei internationalen Gerichten behandelt werden. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, Langfassung, 28.1.2015)