Birgit Kraft-Kinz.

Foto: Fachgruppe Werbung Wien

Vor der Wirtschaftskammerwahl: Nach der roten Opposition erklärt hier auch noch die bürgerliche Obfrau der Wiener Fachgruppe Werbung, Birgit Kraft-Kinz, womit sie zur Wahl in diesem Februar antritt.

STANDARD: Würden Sie eigentlich eine Koalition mit den Kollegen vom sozialdemokratischen Team Werbung Wien eingehen nach der doch recht harschen Kritik im STANDARD-Interview vor ein paar Wochen am bürgerlichen Verständnis der Wirtschaftskammer generell und in Wien?

Kraft-Kinz: Wir haben ja eine Koalition mit der Grünen Wirtschaft. Die Rolle der Opposition ist die der Kritik, das ist in politischen Prozessen immer so und auch legitim. Wenn man sich die Kritik genauer anschaut, kommt man zum Schluss: Wir haben in den vergangenen Monaten einiges weitergebracht, an dem es nichts zu kritisieren gibt.

STANDARD: Nämlich?

Kraft-Kinz: Die Kritik zu den Punkten geht ins Leere: Die Werbeakademie ist nicht in der Verantwortung der Fachgruppe Werbung Wien. Die Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft ist das ebensowenig. Wir machen Branchenvertretung. Und wir schauen, dass wir vermehrt Wissen bieten und Dialog zu den gewaltigen Veränderungen der Branche. Wir brauchen alle mehr Austausch, müssen Wissen generieren. Es geht um die Skills der ganzen Digitalisierung.

STANDARD: Soll heißen: Was die Sozialdemokraten kritisieren, geht Sie nichts an? Da und dort werfen sie Ihnen auch das vor, wenn ich mich recht erinnere.

Kraft-Kinz: Wo die Kritik ansetzt, ist das Thema: Welche Ausbildungspolitik auch im Bereich der Werbung und Marktkommunikation forcieren wir? Da haben wir gemeinsam ein Projekt in Realisierung. Wir schauen uns an, welche Fähigkeiten sind künftig nötig, damit die Absolventen einer Werbeakademie, einer FH Wien gut einen Job finden beziehungsweise damit sie gut geeignet sind, um Unternehmen zu stärken.

STANDARD: Wenn sie von der Werbe-Akademie kommen, brauchen sie noch eine Ausbildung, um in Agenturen zu arbeiten?

Kraft-Kinz: Nein. Aber wir nehmen die Kritik ernst und schauen: Was brauchen die Unternehmen, welche Art von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und welche Fähigkeiten brauchen sie - und gehen dann auf die Ausbildungseinrichtungen zu, wie sie darauf im Lehrplan eingehen könnten. Aber das wird Phase zwei - wir sind da noch beim Fact Finding.

STANDARD: Nun kann die Fachgruppe Wien nicht die SVA-Probleme lösen - aber der Vorwurf an Sie ist doch: Sie kümmerten sich nicht um die kleinen Einpersonenunternehmen. Und die haben die Sozialdemokraten als aussichtsreiche Zielgruppe identifiziert - die EPUs stellen ja offenbar auch schon die Mehrheit unter den Mitgliedern.

Kraft-Kinz: Unsere Position ist: Jeder, der einen Gewerbeschein als Unternehmer zieht, ist Unternehmer - egal wie groß dieses Unternehmen ist. Für uns sind grundsätzlich einmal alle gleich. Natürlich haben Einzelberater andere Strukturen als größere Agenturen - aber in Wirklichkeit ist jeder Unternehmer. Wir sind dafür, dass die SVA-Beiträge für alle gesenkt werden - und nicht, dass einzelne herausgepickt werden. Wenn ich mich selbstständig mache, weiß ich, dass das auf mich zukommt. Damit kann ich kalkulieren. Wir haben ein Gründerservice in der Wirtschaftskammer, das auch darüber informiert - wieviel Geld ich zum Beispiel dafür zurücklegen muss. Die Wahrheit ist: Ich bin nicht mehr angestellt, niemand anderer führt diese Beiträge für mich ab - ich als Unternehmerin oder Unternehmer habe vorzusorgen, dass ich das dann zahlen kann.

STANDARD: Muss diese SVA-Berechnung eigentlich so kompliziert sein?

Kraft-Kinz: Die wirkliche Umstellung als Unternehmer oder Unternehmerin ist: Man muss vorsorgen. Ob Steuer, ob Sozialversicherung: Man muss etwas zurücklegen. Und nicht den Bruttoumsatz für netto nehmen. Und wenn ich keinen Umsatz mache, habe ich ohnehin ein anderes Problem.

STANDARD: Aber für die Senkung dieser Sozialversicherungsbeiträge können Sie als Fachgruppenchefin auch wenig tun?

Kraft-Kinz: Das ist eine Initiative der Wirtschaftskammer Wien. Die Senkung der SVA Beiträge für alle halten wir für eine gerechtere Form der Entlastung.

STANDARD: Nun gehört die SVA nicht der Wirtschaftskammer Wien, steht aber doch der Wirtschaftskammer sehr nahe.

Kraft-Kinz: So lange es eine Wiener Gebietskrankenkasse gibt und eine für die Bauern, muss es auch eine Sozialversicherung für die Selbstständigen geben, und das ist die SVA. Und da ist die Frage: Was kann die SVA in Härtefällen zur Entlastung tun, wenn jemand in einer wirtschaftlichen Krise steckt? Sie kommt nach meinen Informationen ohnehin entgegen. Aber am Ende des Tages muss auch ich als Unternehmerin meinen SVA-Beitrag zahlen, und der ist hoch.

STANDARD: Nun stehen im Februar Kammerwahlen an, die ja Anlass unseres Gesprächs sind. Da sollten Sie die große Zahl der Einpersonenunternehmen wohl überzeugen. Womit denn?

Kraft-Kinz: Als Obfrau will ich natürlich alle Unternehmen vertreten, egal welcher Größe. Mir ist bewusst, dass es sehr viele EPUs gibt. Wir führen dazu eine EPU-Sprecherin ein, die Interessen verstärkt vertritt. Wir haben im Ausschuss noch keinen Anteil von 60 Prozent EPU-Vertretern wie unter den Mitgliedern, aber wir liegen bei 30 Prozent - wir sind auf dem Weg schon ganz gut unterwegs. Natürlich haben sie andere Interessen - da geht es um Wissensaustausch, Partnerschaften, Kooperationen, Co-Creation. Diese Angebote machen wir verstärkt. Trotzdem bleibt meine Überzeugung: Jeder einzelne ist Unternehmer - und nicht jemand, der zwar auf Gewerbeschein arbeitet, aber lieber angestellt wäre. Das ist das Credo dahinter. Das bedeutet auch: Es gibt viele Möglichkeiten, etwas zu gestalten, aber eben auch ein wirtschaftliches Risiko - und manchmal auch Existenzsorgen.

STANDARD: Salopp gesagt: Es gibt nicht soviel Bedarf, sich um die zu kümmern.

Kraft-Kinz: Das sind Unternehmer. Hoch professionell, entschlossen, etwas zu machen. Darin unterstützen wir sie mit einem EPU-Paket - und können dabei immer noch besser werden. Aber in Wirklichkeit geht es um Augenhöhe - das sind ebenso Unternehmer wie einer mit einer größeren Struktur.

STANDARD: Jetzt stell ich Ihnen auch die Frage wie den Sozialdemokraten, auch wenn man sie wahlwerbenden Politikern besser nicht so offen stellt: Womit treten Sie denn an, was versprechen Sie ihren Wählern?

Kraft-Kinz: Wir haben fünf Forderungen formuliert ...

STANDARD: Forderungen an wen?

Kraft-Kinz: An die Politik und verschiedene Stellen. Zum Beispiel das Thema Werbeabgabe.

STANDARD: Ganz überraschen können Sie mich damit nach ein paar Jahrzehnten Debatte darüber nicht.

Kraft-Kinz: Ich bin überzeugt davon, dass es diese Reformen braucht und die Abschaffung der Werbeabgabe kann Signal sein. Ich lese, dass Bagatellsteuern wie Werbeabgabe und Schaumweinsteuer auch laut ÖVP-Papieren ein konkretes Ablaufdatum vor der nächsten Nationalratswahl bekommen sollen. 100 Millionen Euro Werbesteuer, davon 47 allein in Wien, sind schon wert, darüber zu reden.

STANDARD: Der Finanzminister hat das offenbar nicht vor. Er hat inzwischen wissen lassen, dass er nicht an Abschaffung denkt. Er würde sich wohl auch recht schwer tun, eine Abgabe abzuschaffen, die zwar der Bund einhebt, aber die Länder kassieren.

Kraft-Kinz: Es bleibt bei unserer Forderung an Finanzminister und Regierung, diese Abgabe endlich abzuschaffen. Das ist eine längst überfällige Reform und ein wichtiger Schritt um die österreichische Werbewirtschaft zu stärken. Darüber hinaus fordern wir eine Förderung der Vermarktungsausgaben. Forschung und Entwicklung, IT werden gefördert - aber wenn es darum geht, ein innovatives Produkt bekannt zu machen, sagt jede Förderstelle: Tut mir leid. Aber ein innovatives Produkt, das keiner kennt, kauft auch keiner. Ich habe darüber Vorgespräche mit der Wirtschaftsagentur Wien geführt. Auch die RTR könnte da eine Rolle spielen, die AWS. Das wollen wir verstärkt angehen.

STANDARD: Wie soll so eine Vermarktungsförderung denn funktionieren? Ich gehe zur RTR in die Mariahilferstraße - und die geben mir Geld, um mein innovatives Produkt zu bewerben.

Kraft-Kinz: Nach dem Vorbild des Förderantrags für Forschung und Entwicklunng, beantrage ich mit einem strukturierten Vermarktungsplan, vielleicht auch mit den angepeilten Medien, eine Förderung dieser Vermarktung.

STANDARD: Gibt es das schon irgendwo in der Welt?

Kraft-Kinz: In Österreich nicht. Aber das kann ja nicht komplizierter sein, als eine IT-Entwicklung zu fördern. Die ist genauso virtuell in Konzeption, Darstellung und Budgetierung wie eine Vermarktung. Das ist nur ein Unterschied im Mindset. Dafür sollten auch die Medien sein.

STANDARD: Ich spreche ja zum Glück nicht für die Medien. Und da kommen auch die Procters und Gambles und wollen Geld zur Vermarktung ihrer ersten Zahnbürste, die mir freihändig die Beißer reinigt?

Kraft-Kinz: Wie bei allen Förderungen wird hier nicht alles gefördert, um irgendetwas zu fördern. Und die könnten ja genauso sagen: Fördern Sie meine Forschung und Entwicklung. Und man findet sicher da wie dort Kriterien, was man sinnvollerweise mit welchen Beträgen fördert.

STANDARD: Man möchte sich ja nur was vorstellen. Fehlen noch drei Forderungen.

Kraft-Kinz: Nummer drei ist Digitalisierung. Wir müssen uns als Branche stärker damit auseinandersetzen, Knowhow aufbauen, schauen, wo die Businesschancen liegen, uns fit machen. Unsere Auftraggeber sehen sich großen Umbrüchen im Geschäftsmodell gegenüber, das bringt Chancen für Unternehmen aus Werbung und Kommunikation.

STANDARD: Nach der Werbe-Akademie eine Digital-Akademie?

Kraft-Kinz: Wir haben erst einmal unseren Digital Fitness Friday – ein maßgeschneidertes Programm für unsere UnternehmerInnen. Wir versuchen, Knowhow nach Wien zu bringen. Das ist eine Chance, auch für den Standort Wien.

STANDARD: Hat nicht praktisch jeder oder jede, der oder die in der Kommunikation ist, schon selbst daran gedacht, dass digital auch ein Thema wäre?

Kraft-Kinz: Es gibt da sehr gute Dienstleister - aber gibt es noch viel mehr zu tun.

STANDARD: Sie haben von fünf Forderungen gesprochen - das ist jetzt eher eine Forderung an Sie selbst?

Kraft-Kinz: Genau. Als viertes Thema haben wir Rechtssicherheit bei Werk- und Dienstverträgen. Ein ganz schwieriges Thema. Die Sozialversicherung ist ja sehr strikt bei dieser Definition. Das ist in unserer Branche ein Riesenthema. Wenn unsere EPUs nur einen Auftraggeber haben, unterstellt die Sozialversicherung: Das ist ein verdecktes Dienstverhältnis. Dann trägt das Auftraggeber-Unternehmen das Risiko, diese Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen. Das kann wirklich, wirklich teuer werden.

STANDARD: Ist der Verdacht nicht da und dort auch berechtigt?

Kraft-Kinz: Das zu beurteilen, steht mir nicht zu. Mir geht es darum, die Unternehmer zu stärken - indem ich sie auf diese Risiken aufmerksam mache. Für die Marktforscher haben wir schon einen Leitfaden dazu entwickelt.

STANDARD: Und an dem orientieren sich auch die Sozialversicherungen?

Kraft-Kinz: Ein Leitfaden ist für die Sozialversicherung natürlich nicht verbindlich, die Beurteilung liegt beim Prüfer. Aber der Leitfaden klärt die Rechtslage und sorgt damit für Rechtssicherheit. Für Event und Werbung arbeiten wir das als Nächstes aus.

STANDARD: Inwiefern schafft das nun Rechtssicherheit?

Kraft-Kinz: Indem wir die Leitfäden mit der Sozialversicherung verhandeln. Das ist im Marktforschungsbereich gelungen.

STANDARD: Woher wissen Sie, was Ihre Mitglieder von Ihnen erwarten?

Kraft-Kinz: Ich spreche mit vielen Unternehmerinnen und Unternehmern. Und wir haben zuletzt im Sommer 2014 eine Mitgliederbefragung gemacht. Da ging es stark um politische Themen - die ich in der nächsten Funktionsperiode noch stärker vertreten will.

STANDARD: Also Werbeabgabe...

Kraft-Kinz: …Festplattenabgabe, Datenschutz - da müssen wir einfach eine Position haben und gemeinsam mit dem Fachverband vertreten.

STANDARD: Was wären da Ihre Positionen?

Kraft-Kinz: Bei den Datenschutz-Themen muss man ganz genau aufpassen, österreichweit und bis zur EU.

STANDARD: Sie müssten eigentlich gegen Datenschutz sein.

Kraft-Kinz: Nicht gesamt. Aber man muss da schon aufpassen, dass man damit nicht Geschäftsfelder umbringt.

STANDARD: Da geht es um Direktmarketing-Schienen, nehme ich an. Und zur Festplatten-Abgabe lautet die Abgabe wohl: dagegen. Warum gibt es eigentlich keinen österreichweiten Kollektivvertrag für Ihre Branche?

Kraft-Kinz: In Wien gibt es einen Kollektivvertrag. Die Bundesländer entscheiden für sich, ob sie einen Kollektivvertrag für ihr Land wollen. Bisher haben sie das nicht getan. Alle orientieren sich am Wiener KV, aber außer Wien gibt es keinen. Wir haben das auch wieder mit Fachverband und Gewerkschaften besprochen.

STANDARD: Das müsste eigentlich für den Standort Wien einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Niederösterreich oder Burgenland bedeuten. Gibt es da Kollektivvertragsflucht?

Kraft-Kinz: Davon ist auszugehen und trotzdem wird das nicht massiv sein. Aber die Branchentendenz geht weg von Anstellungen.

STANDARD: Soll heißen: Das Problem löst sich von selbst und alle werden Unternehmer, die dann in Ihre Fachgruppe kommen?

Kraft-Kinz: So war das nicht gemeint. Mich als Unternehmerin betrifft die Kollektivvertragserhöhung zum Beispiel nicht, weil ich meine Angestellten ohnehin über Kollektivvertrag bezahle.

STANDARD: Noch eine Frage, die ich auch Ihren Kollegen aus der Sozialdemokratie gestellt habe: Warum tun Sie sich das eigentlich an, Politik in einer Interessenvertretung? Warum will man Obfrau der Fachgruppe Werbung sein und wieder werden?

Kraft-Kinz: Ich habe Volkswirtschaft studiert, mich faszinieren volkswirtschaftliche Themen - wie jene einer Branche. Ich bin vor sechs Jahren in den Ausschuss gekommen - und als es um die Führung unseres Teams ging, wurde ich gefragt. Erst habe ich nein gesagt, mich aber an mein Credo erinnert: Wenn ich wo dabei bin, mache ich das voll oder gar nicht. So lange wir ein starkes Team im Wirtschaftsbund haben, traue ich mir diese Rolle zu. Und es ist schon toll, wenn man etwas für die Branche umsetzen kann. Wir haben eine über Monate laufende Seminarserie wie den Digital Fitness Friday binnen sechs Wochen gestartet.

STANDARD: Welches Jahresbudget hat die Fachgruppe denn?

Kraft-Kinz: Wir geben jedenfalls, im Gegensatz zu früheren Obleuten, immer weniger aus, als wir haben. (Harald Fidler, derStandard.at, 2.2.2015)