Früher Finanzverwalter, heute Kriegsexperte: Der Blogger Eliot Higgins hat sich sein Wissen über Waffen und Geografie selbst erarbeitet.

Eliot Higgins

Mittlerweile ist er ein gefragter Gesprächspartner, wenn es um Krisenherde weltweit geht.

Eliot Higgins

Higgins arbeitet mit Satellitenbildern, um den Aufnahmeort von Propaganda- oder Augenzeugenvideos festzulegen.

Bellingcat

Später bearbeitet er diese Bilder, um eigene Landkarten zu erstellen.

Bellingcat

In einem Bürgerkrieg benutzte Waffen im Internet zu recherchieren und dabei Kriegsverbrechen aufzudecken: So ein Hobby hat wohl nicht jeder. Eliot Higgins eigentlich auch nicht. Als der Brite im Jahr 2012 für einen längeren Zeitraum arbeitslos wurde und seine Zeit vor allem mit Babysitten verbrachte, wurde ihm allerdings langweilig. Sehr langweilig. Higgins, Finanzverwalter und Newsjunkie, begann, stundenlang Handyvideos aus dem frisch ausgebrochenen Syrienkrieg zu schauen. Nach einiger Zeit erkannte er gewisse Orte, Waffen; ja sogar Kämpfer wieder. Higgins wurde süchtig nach solchen Details.

Blogger deckt Kriegsverbrechen auf

Unter dem einem Frank-Zappa-Song entliehenen Pseudonym "Brown Moses" setzte Higgins einen Blog auf – und entdeckte eines Tages, dass das Regime des syrischen Diktators Bashar al-Assad wohl Fassbomben einsetzt, was als Kriegsverbrechen gilt. Heute betreibt Higgins mit "Bellingcat" eine Website, die wie keine zweite für den sogenannten "Bürgerjournalismus" (Citizen Journalism) steht. Das heißt: Gemeinsam mit anderen Experten, mit denen transparent über Social Media kommuniziert wird, versuchen gewöhnliche Bürger mit einem Faible für spezielle Themen, in wochen- oder monatelanger Recherche jene Details zu überprüfen, die der professionelle Journalismus oftmals übersieht oder als unwichtig einschätzt.

Alles beginnt mit einem Handyvideo

Mittlerweile gilt Higgins als Experte; renommierte Medien wie der "Guardian", die "New York Times" oder der "Spiegel" zitieren ihn ebenso wie das britische Parlament. Higgins hat IS-Terrorcamps lokalisiert, Waffen der ukrainischen Rebellen analysiert und aufgedeckt, dass das Flugzeug MH-17 wohl mit einem russischen BUK-Raketengeschütz abgeschossen wurde. Alle Recherchen beginnen dabei mit Amateurfotos oder Handyvideos, die aus einem Krisenherd ins Netz gelangen. Manchmal sucht der Blogger aktiv nach Videos, manchmal kreuzen sie zufällig seinen Weg. Die Methode ist immer dieselbe: "Wenn ich mir Videos zum ersten Mal ansehe, achte ich auf Details im Hintergrund", so Higgins im Gespräch mit dem STANDARD, "ich suche Dinge, die ich später in Satellitenfotos identifizieren kann."

Google Earth und VLC

Higgings vertraut primär auf "Google Earth", da dort auch historische Satellitenbilder vorhanden sind. So kann er oft beweisen, zu welcher Zeit ein Video aufgenommen wurde. Als zweites wichtiges Tool nennt der Blogger den VLC Media Player, da er damit in Videos jeden einzelnen Frame betrachten kann. Mit "Paint.net" bearbeitet er die Bilder danach, um neue Details offenzulegen. Alle drei Programme sind kostenfrei. "Man braucht keine teuren Tools oder spezielle Anwendungen, um intensiv zu recherchieren", so Higgins. Er glaubt, dass jeder Bürger zu mehr Informationen beitragen kann – und Journalismus nicht den professionellen Journalisten vorbehalten sein muss.

Geheimdienste lesen Higgins

Angebote großer Medienhäuser, exklusiv für sie zu arbeiten, hat Higgins mehrfach abgelehnt: "Ich bin glücklich, ohne Limitierungen tätig sein zu können." Wenn, dann interessiere ihn eher eine akademische Herangehensweise, so Higgins, der momentan an einem Lehrbuch über Open-Source-Recherche arbeitet. Auch Geheimdienste zeigen sich an dem britischen Blogger interessiert. "Mir wurde erzählt, dass meine Recherchen unter Agenten sehr gern gelesen werden", so Higgins.

Gute Ergänzung zu klassischen Medien

Klassische Medien möchte Higgins aber nicht komplett ersetzen. Er spricht weder Russisch noch Arabisch, war auch nie in der Ukraine oder Syrien – selbst wenn beide Konfliktorte ihn seit Jahren beschäftigen. "Ich bin eine Ergänzung zum traditionellen Korrespondenten", so Higgins. Als er im Fall der abgeschossenen MH-17 die Reiseroute einer russischen BUK nachwies, konnten Journalisten vor Ort seine Ergebnissen verifizieren und mehr Informationen herausfinden. Dasselbe Schema zeigte sich in Syrien. Ein Vorzeigemodell für die Zusammenarbeit zwischen Bloggern und Journalisten, so Higgins.

Medien sollen Social-Media-Recherche betreiben

Er sieht es als Vorteil, wenn renommierte Nachrichtenhäuser seine Erkenntnisse weiterverbreiten. "Medien können enorm viel durch Social-Media-Recherche gewinnen", so Higgins, "wenn sie denn Ressourcen dafür haben." Allerdings versuchen Regierungen zusehends, über Facebook und Co Propaganda zu betreiben, warnt Higgins. Er deckte etwa 2014 auf, dass die russische Regierung gefälschte Fotos vom Ostukraine-Konflikt in Umlauf brachte.

Dokumentarfilm geplant

Die dortigen Gefechte werden Higgins auch 2015 beschäftigen. Momentan arbeitet er an einem Projekt über Grenzgefechte an der russisch-ukrainischen Grenze. Auch den Absturz der MH-17 über der Ostukraine will der Blogger noch eingehender untersuchen. Im Sommer wird Higgins dann auch mit einer für ihn ganz neuen Mediengattung in Berührung kommen – dann soll nämlich ein Dokumentarfilm erscheinen, in dem die Arbeitsmethoden des Aufdeckers porträtiert werden. (Fabian Schmid, derStandard.at)