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Mindestens 30 Menschen sind beim Einschlag von Raketen in Mariupol am Samstag gestorben.

Foto: EPA/SERGEY VAGANOV

Kiew/Moskau - Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat am Sonntag Staatstrauer angeordnet. Flaggen an öffentlichen Gebäuden wehten auf Halbmast, staatliche Feierveranstaltungen wurden abgesagt. Poroschenko selbst kürzte seinen geplanten Kondolenzbesuch in Saudi-Arabien ab und berief stattdessen in Kiew den nationalen Sicherheitsrat zur Krisensitzung ein.

Anlass ist der Raketenangriff auf die Hafenstadt Mariupol, die sich unter Kontrolle der ukrainischen Streitkräfte befindet. Bei der Attacke kamen 30 Menschen ums Leben, vorwiegend Zivilisten, darunter zwei Kinder. Auch unter den 93 Verletzten sind neun Kinder. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer Reihe blutiger Ereignisse, die die in Minsk ausgehandelte Waffenruhe immer brüchiger werden lassen: Vor zwei Wochen wurde ein Reisebus am Checkpoint Wolnowacha beschossen. Dabei starben zwölf Menschen, 18 Personen wurden verletzt. Vergangene Woche explodierte eine Granate an einer Haltestelle in Donezk. Resultat: neun Tote und 20 Verletzte.

Gegenseitige Beschuldigungen

In allen Fällen beschuldigen sich Regierung und Separatisten gegenseitig der Taten. Den Anschlag in Donezk nutzte Rebellen-Premier Alexander Sachartschenko zur Verkündung einer neuen Großoffensive: "Wir werden die Frontlinie verschieben, damit Donezk nicht mehr beschossen werden kann", sagte er.

Auch auf das strategisch wichtige Mariupol rückten die Separatisten vor: "Die Befreiung Mariupols hat begonnen. Die ukrainische Armee zieht sich zurück, noch 280 Kilometer bis zur Krim", twitterte Rustam Temirgalijew, der als Vizepremier der Krim den Anschluss der Halbinsel an Russland mitorganisiert hat, kurz vor dem Einschlag der Grad-Raketen in einem Wohnviertel. Die Ukraine verdächtigt Russland, einen Landanschluss an die annektierte Krim erkämpfen zu wollen.

Laut OSZE wurden die Raketen von den Stellungen der Aufständischen aus abgefeuert, doch die dementieren. Gemäß Sachartschenko hat das Militär selbst versehentlich die Stadt beschossen. Weil es versuche, seine Schuld nun auf die Rebellen abzuwälzen, habe er die Ausschaltung der ukrainischen Stellungen vor der Stadt befohlen, fügte er hinzu.

Rückendeckung bekommen die Separatisten aus Russland, das im UN-Sicherheitsrat die Verurteilung der Separatisten für den Anschlag verhinderte. "In der Ukraine ist jede Provokation möglich. Erinnern wir uns an die Boeing: Sie wurde mit klarem politischem Ziel abgeschossen. Die, die es getan haben, schrecken vor nichts zurück", präsentierte der Leiter des Außenausschusses der Duma, Alexej Puschkow, Moskaus Sicht. Dennoch beteuerte Außenminister Sergei Lawrow am Sonntag erneut, dass Russland sich für eine friedliche Lösung einsetzen wolle.

Keine Deeskalation

Internationale Aufrufe zur Deeskalation finden kaum noch Beachtung: Ungeachtet der Feuerpause versuchen die Rebellen, ukrainische Truppen östlich von Donezk einzukesseln. Kiew hat eine Teilmobilmachung beschlossen und fordert weitere Sanktionen gegen Russland. Dazu will sich Kiew der Unterstützung der Nato versichern. (André Ballin, DER STANDARD, 26.1.2015)